Kirsten Liese, klassikinfo.de (01.02.2011)
Harry Kupfer inszeniert "Tannhäuser" in Zürich. Ingo Metzmacher dirigiert ein Staraufgebot an Sängern.
Keine Wiese, keine Aue, kein Ort, nirgends. Tannhäuser, gerade dem Venusberg entronnen, braucht wohl seine Zeit, bevor er realisiert, dass er wieder im richtigen Leben angekommen ist. Er hört die liebliche Weise, doch nicht gesungen von einem Hirten, sondern von einer Krankenschwester. Auch die Pilger existieren wohl nur in seinem Kopf, als mittelalterliche Gestalten in Ketzergewändern. In all diese Impressionen hinein mischen sich noch Erinnerungen an Tannhäusers Jugend in einem berühmten Knabenchor.
Harry Kupfer hat Wagners "Tannhäuser" schon mehrfach inszeniert und ist dabei jedes Mal ein Stückchen weiter gegangen, so auch jetzt bei seiner fünften Interpretation dieses Künstlerdramas am Opernhaus Zürich.
Eine Provokation ist diese Produktion indes nicht. Auch wenn diese skizzierte, recht frei interpretierte Szene am Premierenabend einige Buhrufer auf den Plan brachte, - beim bewährten Regie-Altmeister ist Verlass darauf, dass es nie abstrus wird.
So kommt Kupfer auch souverän ohne ausschweifende, orgiastische Sex- oder Nacktszenen aus. Laszive Ballette (Choreografie: Philipp Egli) prägen die erotische Stimmung im Rotlicht-Venusberg.
Vesselina Kasarova debütiert in Zürich als Venus in ihrer ersten größeren Wagnerrolle. Die Stimme der bulgarischen Mezzosopranistin hat sich enorm entwickelt. Bislang war sie eine Hosenrollen-Kapazität für Gluck, Mozart oder Rossini. Ob sie in dieses Fach noch einmal zurückkehren wird, ist fraglich. Eine vielversprechende Wagnerkarriere scheint jetzt vorgezeichnet, frappieren doch ihr erstaunliches Volumen und das hochdramatische Potenzial.
Der zweite Akt mit einem Konzertflügel im Zentrum einer modernen Mehrzweckhalle erinnert an Kupfers letzten "Tannhäuser" in Berlin. Nur dass in Zürich Hans Schavernochs Bühne mit billigem Plastikmobiliar und wechselnden Fototapeten weniger Atmosphäre verströmt.
Szenisch am stärksten gelingt dem Regieteam der letzte Akt, den Kupfer in einer Wartehalle im Bahnhof ansiedelt. Hier erhält vor allem die Ankunft der Pilger das Gewicht, das ihnen gebührt. Ganz in zivil, mit Köfferchen kehren die weitgehend älteren Herrschaften erschöpft von ihrer langen Reise zurück. Ein alter Mann bricht zu Elisabeths Füßen fast zusammen. - Ein Vorbote für den späten Rückkehrer Tannhäuser, der gegenüber Wolfram seinem katholischen Ekel Luft machen wird.
Ein Rocker mit E-Gitarre ist Peter Seiffert, der seine seine Romerzählung packend und kraftvoll meistert, ohne jegliches Forcieren. Dabei wächst er szenisch über sich hinaus, und das ist zweifellos auch das Verdienst der starken Personenführung von Harry Kupfer.
Hochkarätig besetzt auch die übrigen wichtigen Partien. Für Michael Volle, mit seinem profunden Bariton schon in Bayreuth als Beckmesser eine Wucht, gewinnt seinem Wolfram noch starke lyrische Dimensionen dazu.
Eben diese Qualität bleibt Nina Stemme, kürzlich eine Brünnhilde der Extraklasse in Mailand, ihrer Elisabeth schuldig.
Am Pult setzt Ingo Metzmacher seine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Orchester der Oper Zürich fort. Besonders aufhorchen lassen seine Ouvertüre und das Vorspiel zum dritten Akt dank ruhiger Tempi und kammermusikalischer Transparenz. Nur der große Orchesterklang im Fortissimo steht mit seinen Härten Strawinsky näher als Wagner.
Vor allem aber die letzten zehn Minuten dieser rundum respektablen Produktion werden in Erinnerung bleiben, vielleicht sogar Geschichte schreiben: Den sich anbahnenden versöhnlichen Schluss mit vermeintlich überlegenen Kirchenoberen stört Kupfer mit einer genialen Pointe: Es donnerte, krachte und blitzte - Zeichen eines grollenden Gottes? Verschreckt driftet die pietistische Meute auseinander.