Jürgen Kanold, Südwest Presse (01.02.2011)
Auch Zürich zählt zu den Richard-Wagner-Städten - nicht nur, weil der Komponist dort seine Tristan-und-Isolde-Affäre auslebte. Im Opernhaus wird Wagner mit Weltklasse gesungen: der "Tannhäuser".
Die vergoldete Laute, die in der Sängerkrieg-Show im Fernsehstudio Wartburg so lächerlich herumliegt, nimmt Tannhäuser voller Ekel in die Hand. Den Rausch von Sex, Drugs and Rock n Roll hat er im Venusberg durchlebt, aber jetzt interessiert diesen so maßlosen, aufsässigen Künstler wieder die politisch relevante Wirklichkeit. Und natürlich seine Jugendliebe Elisabeth. Aber dieses hehre Geschnulze vor laufenden Kameras auf der Landgrafen-Party? Grässlich. Tannhäuser bevorzugt härtere Klänge.
"Richard Wagner verpasste das Auftreten der E-Gitarre um 50 Jahre." Was für ein erstaunlicher Satz im Programmheft des Opernhauses Zürich! Wagner starb 1883, und die ersten massenproduzierten elektrischen Gitarren kamen 1932 auf den Markt. Minnesänger Tannhäuser jedenfalls, dieser Aussteiger, der für seine Kunst jede Konvention sprengt, hätte zur E-Gitarre gegriffen, wenn er im selben Jahr geboren worden wäre wie Rocklegende Jimi Hendrix - 1942. Schreibt Hanspeter Künzler, und Regisseur Harry Kupfer kommt mit solcher Theorie in seiner "Tannhäuser"-Inszenierung im goldverschnörkelten Zürcher Opernhaus in der Gegenwart an.
Der Venusberg: ein Edelbordell mit Ballett. Das Tal vor dem Hörselberg: ein Golfplatz; aber was König Heinrich für ein Handicap hat (außer einer unglücklichen Tochter), wissen wir nicht. Der Sängerkrieg: im TV-Sendesaal vorgeführt. Das Grün, auf dem Elisabeth auf den Pilgerzug und Tannhäuser wartet: entsprechend ein Bahnhofwartesaal. Es gibt das alte, gesellschaftskritische, aus der DDR in den Westen exportierte Musiktheater der 70er, 80er Jahre tatsächlich noch. Was die Altmeister Kupfer (75) und Bühnenbildner Hans Schavernoch (75) tun, ist vielleicht auch muffig, rührend altbacken, aber sehr ehrlich, am Menschlichen der Figuren und präzise am Werk ausgeführt.
Die E-Gitarre also. Nein, keine Sorge, sie steht nicht unter Strom, ist nur Requisit. In Zürich wird Harfe gespielt und sowieso reiner Wagner, unplugged bis auf die Jagdhornattacken - aber schon herzhaft und heftig, Ingo Metzmacher dirigiert mit variablen Tempi, als trauerndes Adagio das Vorspiel, gewaltvoll teils die Chöre. Auf jeden Fall nicht romantisch verspielt, sondern aufrichtig dramatisch.
Was die weite Reise lohnt, ist im teuren Zürich das Sängeraufgebot, zwei Partien sind mit absoluter Weltklasse besetzt. Dieser so dramatisch-empfindsame, aber gleichermaßen leuchtende und technisch makellos geführte Sopran der Schwedin Nina Stemme als Elisabeth: großartig. Und Michael Volle als Wolfram: ein rechtschaffener Bürger, der selbstlos Tannhäuser bei Elisabeth den Vortritt lässt, ein Tröster des verlassenen Engels, aber eigentlich ist dieser Wolfram auch ein großer Poet. Das alles singt Volle: wunderschön zart, gedankenvoll das Lied an den Abendstern, aber ebenso kann dieser Bariton mit Urgewalt ausbrechen, jede Verzweiflung demonstrieren.
Auch beeindruckend Vesselina Kasarova, der Belcanto-Star, beim Wagner-Debüt als Venus: eine tiefgründig flutende Verführung. Peter Seiffert als Tannhäuser: laut, nicht immer makellos, aber als Rocker, der schon manche Schlacht geschlagen hat, als Typ, vortrefflich und im entscheidenden Moment mit stählernem Tenor präsent. "Elisabeth!", ist sein letztes Wort, dass es einem eiskalt den Rücken herunterläuft.
"Hoch über aller Welt ist Gott, und sein Erbarmen ist kein Spott", singt der Pilgerchor am Ende. Das ist der reine Hohn. Feierlich deckelt der Klerus den toten Tannhäuser mit einem Glassarg ab, den grünenden Pilgerstab als Reliquie obendrauf. Kaum ist der Verstoßene im Jenseits, wird er heilig gesprochen, kanonisiert. Man kennt das. Aber dann krachts und blitzts im Himmel protestierend. Wolfram reißt die E-Gitarre an sich, explodiert im Zorn. Er wird der nächste Jimi Hendrix der Oper sein.