Oliver Schneider, Wiener Zeitung (01.02.2011)
Der neue "Tannhäuser" von Regisseur Harry Kupfer zeigt in Zürich Parallelen zur Vita von Jimi Hendrix auf
Nur eine Woche nach der Rossini-Maskerade "Le Comte Ory" mit der brillanten Cecilia Bartoli zog Alexander Pereira den nächsten Trumpf. Der Zürcher Opernchef, seit 1991 im Amt und ab 2012 für Salzburg verantwortlich, zeigt seit Sonntag den zweiten "Tannhäuser" seiner langen Ära.
In der Regie von Harry Kupfer flieht nun eine Art "Jimi Tannhäuser" aus der Enge des Venusbergs, der ein Bordell (ähnlich wie zuletzt bei Regisseur Claus Guth an der Wiener Staatsoper) und eine Drogenhöhle ist. Hier vergnügt sich das männliche Establishment inklusive Klerus bei Frau Venus und deren Damen. Vesselina Kasarova hauchte der Venus bei ihrem umjubelten Rollendebüt am Sonntag mit durchschlagskräftigem Mezzo dunkle Glut ein und wusste auch darstellerisch im ersten Aufzug zu verführen. Die Rolle liegt ihr zurzeit stimmlich geradezu ideal, zumal sich auch ihre deutsche Diktion stark verbessert hat.
Auf dem Golfplatz trifft der geflohene Jimi seine ehemaligen Bandkollegen nach ihrer Runde im Klubhaus. Walter von der Vogelweide, Biterolf und Heinrich der Schreiber als ehemalige Rockmusiker der Jimi Hendrix Experience oder Gypsy Sun & Rainbows? So richtig will die E-Gitarre nicht zu den saturierten Herren passen. Nur für Tannhäuser bleibt sie auch jenseits des Hippie-Alters unverzichtbares Utensil.
Den Sängerkrieg haben Kupfer und sein Bühnenbildner Hans Schavernoch ins Fernsehstudio verlegt, wo Tannhäuser seine Kompromissbereitschaft, an der er letztlich zerbricht, aufgibt und mit dem Kopf durch die Wand gehen will. Ihm bleibt deshalb nur der Weg nach Rom zum Papst. Elisabeth und Wolfram erwarten die Heimkehr der Rom-Pilger am Bahnhof.
Der päpstliche Stab grünt auf dem Sarg
Hier setzt Nina Stemme einen musikalischen Höhepunkt mit ihrem berührenden Gebet; in der Hallenarie hingegen klingt ihr vollblütiger Sopran fast zu hochdramatisch. Auch Peter Seiffert hat im letzten Aufzug seine größten Momente, besitzt er doch dank seiner Rollenerfahrung für die Rom-Erzählung noch Reserven und punktet mit stählernen Höhen. Michael Volle ist ein großartiger Wolfram, der in seinem Lied an den Abendstern Kantabilität verströmt und den Rest des Abends auch in seine dramatischen Ausbrüche ausdrucksstarke Zwischentöne einbringt.
Dieser "Tannhäuser" wäre keine Kupfer-Inszenierung, wenn es keinen deutlichen gesellschaftlichen Seitenhieb gäbe. Nachdem der Papst hier den grünenden Pilgerstab auf den gläsernen Sarg Tannhäusers gelegt hat, wird die Gesellschaft durch ein Gewitter auseinandergetrieben. Wolfram von Eschenbach ist fassungslos ob ihrer Verlogenheit und umklammert die E-Gitarre seines Freundes. Insgesamt ist Harry Kupfer noch einmal eine stringente Lesart gelungen, die in der Personenführung allerdings nicht an seinen eigenen Berliner Maßstab herankommt.
Was auch immer Ingo Metzmacher am Musiktheater dirigiert, er sorgt für Sternstunden. Den "Tannhäuser" gibt er in einer Mischfassung: den ersten Aufzug in der Pariser Überarbeitung, die übrigen gemäß der Dresdner Noten. Schon in der Ouvertüre arbeitet Metzmacher mit dem souveränen Orchester dynamische Gegensätze heraus, disponiert die Tempi zu einem spannungsvollen Gesamtbild und setzt auf Transparenz. Das Klangbild ist jederzeit ausbalanciert für das kleine Zürcher Haus, ohne dass die Chorszenen an Effekt verlieren.