Ungläubiges Staunen

Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (02.02.2011)

Tannhäuser, 30.01.2011, Zürich

Opernhaus Zürich Trotz illustrer Besetzung kann die Inszenierung von Richard Wagners «Tannhäuser» nicht überzeugen.

Die Premiere der drei Fragen, so könnte man die Erwartungen auf die Zürcher «Tannhäuser»-Produktion umschreiben: Wie kann ein Haus innerhalb einer Woche zwei Premieren auf höchstem Niveau schultern, wie präsentiert sich Peter Seifferts Stimme nach seinem gesundheitsbedingten Aus als Tristan im vergangenen Oktober, und wie gestaltet sich die Inszenierung eines Regisseurs, der sich wie Harry Kupfer zum fünftenmal mit demselben Stoff auseinandersetzt? Man muss leider feststellen, dass sich Pereiras Experiment nicht gelohnt hat, zu unausgegoren war dieser «Tannhäuser».

Nina Stemme als Retterin

Insbesondere nach dem ersten Akt blieb nur ungläubiges Staunen. Szenisch ob der wenig inspirierten Regie, technisch ob der quietschenden Drehbühne und wackelnden Stangen, musikalisch ob des durchwegs überlaut singenden Ensembles und ob des Dirigats von Ingo Metzmacher mit undifferenzierten Blechbläsern. Man wurde den Verdacht nicht los, dass da zu wenig geprobt worden war. Was blieb, war die Hoffnung auf Nina Stemmes Elisabeth, und höre da, die grossartige Sängerin riss den Abend souverän mit differenziertem Gesang aus dem Feuer.

Als Stück über einen anarchischen Künstler sieht Kupfer den «Tannhäuser», er siedelt ihn in den 1968er-Jahren an, Tannhäuser mit E-Gitarre in der Hand und Drogen im Blut, der Venusberg als taumelnde Halluzination. Das Erwachen dann im sterilen Krankenhaus, der Hirt eine Krankenschwester und der Schalmei-Bläser ein OP-Mitarbeiter im grünen Gewand. Die Sängerhalle mutiert zum Filmstudio, und das Schlussbild spielt in einer Bahnhofshalle mit Stahlträgerdach (Bühne Hans Schavernoch).

Heterogene Interpretation

Diese Deutung wirkt weder innovativ noch stringent, und sie exponiert die beiden Tannhäuser-Welten nicht wirklich. Peter Seiffert ist zwar eine schillernde Bühnenpersönlichkeit, aber kein Drogen konsumierender Hippie. Seine Stimme bekundete im ersten Akt merklich Mühe und wirkte im Registerwechsel zuweilen brüchig. Die Romerzählung im dritten Akt war dann allerdings eine sänger-darstellerische Demonstration seines Könnens: strahlend in der Höhe, differenziert im Erzählen, ein Genuss. Möge sich diese tolle Stimme noch ganz erholen!

Ingo Metzmacher machte es den Sängern aber auch nicht leicht, seine Interpretation wirkte heterogen wie Wagners Partitur, indem er diese statt ausgleichend noch (ver)schärfend heraushob. Symptomatisch, wie er bei Wolframs Abendstern-Gesang bei langsamem Tempo die Holzbläser derart ins Pianissimo zurücknahm, dass Michael Volle, obwohl liedsängerisch erprobt und klar in der Diktion, exponiert und seltsam blass blieb. Auch Alfred Muffs mächtiger Bass zeigte ungewohnte Schwächen.

Versprechen für die Zukunft

Vesselina Kasarovas Rollendébut als Venus war gekennzeichnet von ihrer Nervosität, der statischen Personenführung und der konzeptuell eingezwängten «Halluzinations»-Choreographie von Philipp Egli. Für die Wagnerfach-Zukunft ist Kasarovas modulationsreiche, farbige und höhensichere Stimme aber ein Versprechen. Auftrumpfen konnte im dafür mächtig aufbrausenden Orchestergefüge der grossbesetzte Chor (Einstudierung Jürg Hämmerli und Ernst Raffelsberger), neben Stemme das Ausrufezeichen des Abends, das zeigte, welches Niveau dem Angekündigten adäquat gewesen wäre.