Svend Peternell, Berner Zeitung (26.02.2011)
Ein Psychogramm ohne Schonung: Elisabeth Linton inszeniert einen gesanglich hochkarätigen «Don Giovanni».
Verhüllen, um zu enthüllen. Nach diesem Prinzip inszenieren die Schwedin Elisabeth Linton (Regie) und die Deutsche Julia Hansen (Ausstattung, Kostüme) mit viel Tüll, Stoffen und Vorhangansätzen auf einer sonst kahlen Bühne, was Don Giovanni in der gleichnamigen Oper von Wolfgang A. Mozart anstrebt: Ebenso verwegen wie fintenreich einer Frau nach der anderen zu Leibe rücken – bis hin zur nackten Leere. Erobern, auseinandernehmen und dann fallen lassen – so lautet die Devise des Frauenverführers, der doch nur ein bindungsunfähiger und genussüchtiger Frauenverachter ist.
Ein unappetitliches Bild
Das Regiegespann hat für das Gastmahl in einer der letzten Szenen ein ebenso drastisches wie treffendes und unappetitliches Bild gefunden: Da liegen willenlos leichtbekleidete Frauenleiber als Konsumwaren auf dem langgezogenen Tisch, an denen sich die Titelfigur sexuell vergeht. Gepeinigt und gekrümmt kriechen die Frauen davon, ehe Don Giovanni das Unausweichliche blüht: In der Schlussrunde wird er vom Komtur (Luciano Batinic), der ihn in der Stadttheater-Inszenierung stets als schmerzauslösender Schatten begleitet, in die Verdammnis geschickt.
Genaue Psychostudie
Linton und Hansen liefern eine genaue und schonungslose Psychostudie ab, die die Faszination und zerstörerische Kraft der protzigen Titelgestalt in Lederjacke (stark: Robin Adams) rigoros ausleuchtet. Das zeigt sich auch im Spiegel der anderen Gestalten: Die blonde Donna Anna (Simone Schneider) lässt sich von ihm gerne verführen, weil sie einen Langweiler von Partner hat, vor dem sie sich in die Trauer um den umgebrachten Vater flüchtet. Andreas Hermann gibt diesen hingehaltenen Don Ottavio mit zunehmender Ungeduld und als einer, der mit dieser Situation überfordert ist. Die dunkelhaarige Donna Elvira (Fabienne Jost in treffend forscher Tonlage) wird zunächst als Karikatur der verlassenen Braut vorgeführt. In der Folge klettet sie sich aber ebenso hartnäckig wie hoffnungsvoll und schmerzverzerrt an den nicht bekehrbaren Untreuen. Brillant und kokett- verspielt zeichnet Anne-Florence Marbot die rothaarige Bäuerin Zerlina, die ihren Bräutigam Masetto (Milcho Borovinov) ebenso um den Finger zu wickeln scheint wie sie Don Giovanni irritiert. Zum facettenreichen Bild des Letzteren gehört auch, dass er den Komtur erst in Notwehr mehr zufällig als beabsichtigt umbringt.
Grosse Klasse ist ebenfalls Carlos Esquivel als Leporello: Wie er die Liebschaften seines Chefs auflistet, dabei Donna Elviras Zofe (Stephanie Ritz) als Instrument der Verführungskünste (miss)braucht, überraschend aber ihre körperliche Lust und ihr erotisches Interesse an ihm selber weckt – das ist ein cleverer Regiestreich, der wie das meiste in dieser gesanglich und musikalisch hochkarätigen Aufführung durch die Musik und das Libretto bestens begründet ist.
In beneidenswerter Form präsentiert sich auch das Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Dorian Keilhack: Mozart mit aller behender Leichtigkeit und tragischer Hintergründigkeit – das ergibt ein überzeugendes und packendes Klangbild.