Herbert Büttiker, Der Landbote (28.02.2011)
Diesmal stirbt der Held an einer Wunde, die er sich im Duell mit dem Komtur zuzieht: Mozarts «Don Giovanni» wird im Stadttheater Bern mit neuen Ideen frisch frisiert.
Luftige Stoffe, als Vorhänge und als Bodenbedeckung, geben diesem «Don Giovanni» das Flair des Leichten, Improvisierten, Virtuosen. Mit manchen genau so wirkenden Regieeinfällen wartet die Inszenierung von Elisabeth Linton (Bühne: Julia Hansen) auch auf. Don Giovanni, entlarvt und in die Enge getrieben, überrumpelt seine Gegner, indem er ihnen einfach den Teppich unter den Füssen wegzieht. Komödie, Affekttragödie und metaphysisches Drama gehen nach Mozarts Vorgabe Hand in Hand. Und doch hat der Abend auch seine Schwere; Forciertes in der Regie und ein unüberhörbarer Rest des nur gerade anständig Bewältigten im Musikalischen tragen dazu bei. Es wird verstärkt, wenn Donna Elvira (Fabienne Jost) mit ihrem Furioso mit ihrer Stimme ins Ungefähre gerät, wenn Don Ottavio (Andreas Herrmann) in sich zusammensinkt, wo er sich in den virtuosen Laufpassagen in Form zu bringen hätte, wenn Donna Anna (Simone Schneider) auch als Figur immer mehr ins Gespreizte gerät.
Als robuste und gewiefte Spielmacher aber beherrschen Robin Adams und Carlos Esquivel als kumpelhaftes Duo Don Giovanni und Leporello die Szene, und das Paar Zerlina und Masetto gefällt in der Mischung von Simplizität und Abgebrühtheit. Besonders Florence Marbot blüht stimmlich auf, und da mit Robin Adams Don Giovanni auch den vokalen Eros ins Spiel bringt – schön auch in der Canzonetta, wohl gar berserkerisch in der Champagnerarie –, wird das Duettino «La ci darem la mano» zum betörenden Moment. Deren gab es insgesamt nicht wenige, wobei das Orchester unter der Leitung von Dorian Keilhack seinen Beitrag leistete, wenn es auch an der Premiere am vergangenen Donnerstag an Balance und präziser Koordination da und dort mangelte.
Don Giovannis Wunde
Gerade rauschend war auch der Erfolg des Abends nicht. Es mochte auch mit der Finalszene zusammenhängen. Statt den Geniesser einer opulenten Mahlzeit zeigt sie den Sexmaniak, der sich über die aufgetischten Frauen hermacht: ein Bild des «Wüstlings», das das «Dramma giocoso» sprengt, aber nicht nur das. Auf den Triebtäter reduziert, dem in der Lust die anarchische Freiheit, die von ihm besungene «gloria d’umanità», abhandenkommt, fehlt diesem Don Juan das Gewicht für einen metaphysischen Zweikampf mit dem «Steinernen Gast».
Aber die Inszenierung fokussiert dafür etwas anders mit spannender Konsequenz: Don Giovannis Wettlauf gegen den Tod, für den hier der Komtur (Luciano Batinic) steht. Dieser stirbt zwar beim Duell in der ersten Szene, schlägt aber Don Giovanni eine Wunde, die diesem zu schaffen macht, bis er in der letzten Szene daran stirbt. So wie die Wunde ist auch der Komtur stets präsent, wo Don Giovanni auf Abenteuersuche unterwegs ist, und er ist auch schon da, bevor für den Lebemann in der letzten Szene die Agonie beginnt. Die Wucht, die Mozart dem Majestätsauftritt der Statue gibt, geht damit natürlich verloren, mit Don Juans Ende versinkt auch der Komtur. Mozarts «Lieto fine» ist dann nur noch ein Anhängsel. Um das Larghetto gekürzt, stellt sich die Frage nach dem zurückbleibenden Figurensextett und ihrem Leben ohne und nach Don Giovanni offenbar nicht mehr.