Belcanto im Mondlicht

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (01.03.2011)

Norma, 27.02.2011, Zürich

Robert Wilson inszeniert im Zürcher Opernhaus Bellinis «Norma»

Ästhetik, Lichtkunst, eine auratische Titelgestalt – schon bevor die Handlung einsetzt, wird deutlich, worauf die Faszination von Robert Wilsons «Norma»-Inszenierung im Zürcher Opernhaus beruht. Lange bleibt es hell im Zuschauerraum, so dass man den Anblick des alten Schmuckvorhangs geniessen kann. Dann wird es schwarze Nacht. Nur ein Lichtkreis erhellt die Bühne, beginnt zu rotieren, verdoppelt und vervielfacht sich, eine schlanke Gestalt in blauviolettem Gewand mit turmartig hochgestecktem schwarzem Haar schreitet sehr langsam über die Bühne: Norma, die Seherin und Priesterin. Damit beginnt jenes wundersame Spiel aus Lichtobjekten, Farbwechseln, abstrakten Formen und stilisierten Bewegungen, das der Theatermagier Wilson zur Vollendung gebracht hat und dem man sich nur staunend hingeben oder aber verweigern kann (für die paar Buhrufer, die sich am Schluss der Premiere vernehmen liessen, galt wohl Letzteres).

Die Form allein

Natürlich lässt sich Vincenzo Bellinis Oper auch ganz anders erzählen, Jossi Wieler und Sergio Morabito haben es 2002 in ihrer epochalen Stuttgarter Inszenierung vorgemacht: «Norma» als die auch in der Gegenwart denkbare Geschichte einer hochgestellten Frau, die aus einer illegalen, geheim gehaltenen Beziehung zwei Kinder hat, ihren Geliebten, der einer anderen, patriarchalen Kultur entstammt, an eine Jüngere verliert und mit dieser einen auf Verzicht, Vertrauen und Verstehen gründenden matriarchalen Bund schliesst. Doch eine solche, psychologisch und realistisch argumentierende Interpretation, ja Interpretation überhaupt ist Wilsons Sache nicht. Ihm geht es allein um die Form, um den durch die Musik strukturierten Zeitverlauf, um den Stimmungsgehalt, den er mit der melodischen und rhythmischen Struktur des Werkes assoziiert.

Akzeptiert man diesen Ansatz, so erweist sich Bellinis Meisterwerk als ideales Objekt für Wilsons szenische Visionen. So gleitend die Übergänge, so vieldeutig die Bilder sind – die Lichtobjekte im Hain der Druiden etwa lassen sich als Augen, Schilde oder einfach als Lampen deuten –: es gibt in jedem der zwei Akte auch Fixpunkte, im ersten den riesigen, schwarz schimmernden Trichter als Symbol der von Norma in der berühmtesten Arie der Oper als «casta diva» besungenen Mondgöttin, im zweiten Akt die schwarze Zelle der Priesterin. Als sich Norma und Adalgisa einander offenbaren, bricht dieses pyramidenförmige Gehäuse auf und zeigt ein hell leuchtendes kristallines Inneres, beim Erscheinen des gemeinsamen Geliebten Pollione beginnen die einzelnen Teile bedrohlich zu kreisen. Die Haupteigenschaft von Wilsons Bühne aber ist, dass sie Räume schafft für die Musik, und zwar auf eine Weise, die sowohl der sublim elegischen Grundstimmung dieser Musik wie ihrer dramatischen Akzentuierung kongenial entspricht. Unter der Leitung von Paolo Carignani füllt das Orchester der Oper Zürich diese Räume mit sattem, doch transparentem Klang, hoch konzentriert, rhythmisch geschmeidig, in optimaler Abstimmung auf die Stimmen des Sängerensembles.

In diesem ist Elena Moşuc die überragende Erscheinung. Sie geht die Partie der Norma, die Krönung einer Laufbahn als Koloratursopranistin, ganz aus der Belcanto-Tradition an. Makellos ihr Tonansatz, warm und geschmeidig der Klang ihrer Stimme, berückend das Piano, virtuos das Wechselspiel von Crescendo und Decrescendo, perlend die eingestreuten Fiorituren, auch die tiefen Töne tragend, ohne dass sie die Sängerin eindunkeln müsste. Und nicht zuletzt erweist sich Moşucs eminente Musikalität darin, wie sie sich, von Moidele Bickel wunderschön kostümiert, die stilisierte Gebärdensprache und Motorik des Regisseurs zu eigen macht. Ein Charakterbild dieser Rolle, die erst Maria Callas zur heroischen Gestalt von Medea-Format gemacht hat, ist bei Wilson nicht gefragt, und das kommt Elena Moşuc zustatten.

Die Stunde der Frauen

Dass «Norma» eigentlich ein Frauenstück ist, die Titelfigur und Adalgisa einander näher stehen als ihrem gemeinsamen Geliebten Pollione, wird in dieser Produktion fast überdeutlich. Michelle Breedts warmer, satter Mezzosopran kontrastiert zwar dank seiner dunkleren Tönung mit Moşucs Sopran, doch im grossen Duett verschmelzen die Stimmen harmonisch. Man könnte sich die Erscheinung der Novizin, die in ihrem Gewissenskonflikt bei der Oberpriesterin Rat sucht, heller, jugendlicher wünschen, ihre Stimme leuchtender, doch das wäre bereits wieder psychologisch gedacht, und Gleiches gilt, wenn man sich Pollione als eleganten Römer vorstellt, was er hier nicht einmal ansatzweise ist. Gravierender als die darstellerischen Defizite des Tenors Roberto Aronica sind allerdings die vokalen. Er stemmt und presst die Töne und verfügt kaum über Ausdrucksnuancen. Auch Giorgio Giuseppini in der Rolle von Normas Vater Oroveso scheint die von Wilson geforderte Körpersprache als Zwangskorsett zu empfinden, was mit dazu beitragen mag, dass sein Bass so spröde klingt. Hörens- und Sehenswertes gibt es in dieser Neuproduktion dennoch in Fülle.