Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (26.02.2011)
Oper Das Stadttheater Bern zeigt W. A. Mozarts Publikumsmagnet «Don Giovanni»
Ein Verführer von 2065 Frauen rast in drei Stunden Mozart-Drama seinem Ende entgegen. Noch hängt er sich an jeden Rockzipfel, mordet oder verprügelt jene, die sich ihm entgegenstellen. Es nützt alles nichts – der Sog ist zu stark: Don Giovanni fährt in die Hölle. Die letzten sechs Opfer seines Treibens schauen nach der Höllenfahrt belämmert in den Abgrund. Was bleibt anderes übrig, als ein Moralsprüchlein aufzusagen?
Unzählig sind die Deutungen der «Oper der Opern», für ein Theater eine prächtige Herausforderung. Bern nutzt sie zu wenig konsequent.
Im dortigen Stadttheater «passiert» fast alles, was landläufig in einem «Don Giovanni» abgehen kann. Dennoch bleibt das Bühnengeschehen seltsam neutral und leider fast frei von buffonesken Elementen. Der Hang der Regisseurin Elisabeth Linton zur Einfachheit beraubt die Szenen ihrer urtümlichen Eigenart.
Kein Fluss trotz Einheitsbühne
Gewiss schlagen die Pendel mal etwas mehr nach links aus (Zerlina will Don Giovanni wirklich haben), dann nach rechts (Ottavio ist ein Riesenzauderer). Aber die einzelnen Nummern bleiben Puzzleteile.
Trotz Einheitsbühnenbild, das ein rasches Ineinandergleiten der Szenen ermöglicht, kommt das Geschehen nicht in Fahrt. Die Idee, den Komtur gleich nach dessen Tode als unsichtbaren Gefährten Don Giovannis auf der Bühne herumgeistern zu lassen, bringt wenig, ja vermindert den Effekt seiner Wiederkehr in der Friedhofsszene und im Finale.
Schon während der Ouvertüre schlingt sich Donna Anna heftig um Don Giovanni, ein Vorhang fällt über das Paar, darunter gehts ab. Ists entscheidend? Nur dann, wenn dadurch etwas die Geschichte Bereicherndes ausgelöst werden würde.
Eine Überraschung, immerhin, bringt das Finale: Giovanni nimmt sich die «Riesenbissen» nicht von einem Fasan, sondern von Kurtisanen, die auf der Tafel bereitliegen. Eine Überraschung ist die Orgie vor allem deswegen, weil vorher nichts auf diesen Charakterzug hinweist. Die Szene ist, nebenbei, stadttheäterlich brav inszeniert. Auch siebenjährige Mädchen dürfen zuschauen.
Überforderter Titelheld
Nicht nur das Finale legt offen, dass die Titelrolle für Ensemblemitglied Robin Adams zwei Stufen zu hoch ist. Gerade diese Regie verlangt nach einem charismatischen Don Giovanni – sollte er doch hier durch seine Schönheit und sein Wesen die Frauen magisch anziehen. Adams tänzelt klischiert über die Bühne und fällt stimmlich ab. Sein Bariton hat wenig Charme, wirkt spröde und trägt nicht.
Grosse Schweizer Konkurrenz
Keiner der anderen Protagonisten singt so, dass man sagen würde: Der könnte auch in Genf oder Zürich mithalten. Gewiss: Das Berner Budget ist klein. Aber wer sich an den Luzerner «Don Giovanni» von 2008 erinnert, erkennt schon zwischen Bern und Luzern einen Qualitätsunterschied.
Immerhin: Luciano Batinic (Komtur) singt nicht bloss kräftig, sondern auch mit Eleganz, Carlos Esquivel (Leporello) zumindest korrekt. Andreas Hermann hingegen müht sich mit Don Ottavio ab. Simone Schneider ist eine überaus dramatische Donna Anna, die aber nicht ganz ohne Schärfen auskommt. Die Schärfen gehen bei Fabienne Jost (Elvira) über ins Schrille. Dazwischen steht Anne-Florence Marbot (Zerlina). Die Bernerin gestaltet ihre Arien liebevoll und schafft es als Einzige, ihrer Figur überraschende Züge zu geben.
Die sängerischen Schwächen fallen ins Gewicht, da vom Graben wenig kommt. Dirigent Dorian Keilhack gelingt es nicht, mit dem sicher aufspielenden Berner Symphonieorchester die dynamischen Feinheiten herauszuarbeiten. Er buchstabiert Mozarts Partitur brav vor sich her.
Die Schwächen des Berner Stadttheaters werden mit dieser Produktion aufgezeigt. Und schlimmer: Man erkennt, dass dieses Theater heute im Opernbereich wenig Stärken hat.