Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (01.03.2011)
Die Marke Robert Wilson hält noch immer, was sie verspricht. Der amerikanische Regisseur inszenierte am Sonntag Bellinis «Norma» am Opernhaus Zürich – mit dem Rollendebüt von Elena Mosuc in der gefürchteten Titelpartie.
Robert Wilson also, der Bild- und Lichtkünstler aus Texas, der sich, lange bevor er Opern zu inszenieren begann, mit seinen Theaterinstallati onen und Bühnenbildern einen klingenden Namen in der Kunstwelt machte. Legendär ist etwa seine moderne «Freischütz»-Version, die er 1991 zusammen mit Tom Waits in Hamburg auf die Bühne brachte. In der Folge entstanden zahlreiche Arbeiten für die Opernbühne. In Zürich zum Beispiel inszenierte Wilson den gesamten Wagner-«Ring» – und dies in seiner typischen stilisierten Handschrift, der er nun auch in seiner «Norma» treu geblieben ist.
Wilson mag keine Naturalismen auf der Bühne, er will nicht Geschichten nachstellen und den Psychologen spielen, sondern er kreiert Stimmungen und Szenen, die Raum schaffen für Ideen und Fantasie.
Magische Momente
Der grösste Pluspunkt in Wilsons Arbeiten für die Bühne war schon immer das Licht. Auch in dieser «Norma» gelangen ihm viele magische Momente – neben anderen allerdings, die eher an eine raffinierte Lampen ausstellung erinnerten. Zweites Markenzeichen von Wilson sind die gezirkelten eckigen Gesten mit den gespreizten Händen und Fingern, die fast immer abwehrend wirken, auch wenn die Figur gerade das Gegenteil singt. Sie haben nichts mit der emotionalen Befindlichkeit, dem Text oder der Geschichte zu tun, sondern stehen als Selbstzweck, als Chiffren für Spannung, Energie und Engagement.
Genauso wirkt das auch: befremdend, distanzierend, abgeschlossen, was allerdings bei einer Figur wie Norma, der gallischen Priesterin, die mit dem römischen Feind eine Liaison und zwei heimliche Kinder hat, durchaus zu starken Bildern führt, vor allem dann, wenn sie rituelle Handlungen vollführt. Dass aber das ganze Personal der Oper in allen Situationen genau gleich agiert, führt einfach zu unfreiwillig komischen Momenten und erinnert spätestens beim Auftritt der Kinder an Marionettentheater.
Gegensteuer im Orchestergraben
Vielleicht mag es ein wenig an dieser kühlen Abstraktion auf der Bühne gelegen haben, dass Paolo Carignani im Orchestergraben umso kräftiger Gegensteuer gab. Bellinis berühmte weit gespannte Melodiebögen waren für ihn nicht bloss Anlass zu auszelebriertem Schöngesang, den er zwar dem bestens aufgelegten Orchester und dem Publikum auch nicht vorenthielt. Aber im nicht allzu prominent auskomponierten Orchesterpart suchte er geradezu nach Möglichkeiten für Akzente und kleine Irritationen, half der Schönheit der Melodien gelegentlich mit volksmusikantischen Schlenkern nach oder zog die Tempi bei Gelegenheit radikal an, um dann den Sängern wieder viel Raum für Phrasierungen und Atem zu geben.
Das wussten vor allem die beiden weiblichen Protagonistinnen auszunutzen: Michelle Breedt sang eine intensive, leidenschaftliche Adalgisa, die sich in den Duetten dennoch fast bedingungslos ihrer Norma unterordnete. Um die musste man zu Beginn etwas fürchten: Die berühmte grosse Arie, das Gebet an die Mondgöttin «Casta diva» gelang Elena Mosuc vor allem in der Intonation nur mit einigen bangen Momenten. Auch stilistisch störten gelegentlich Manierismen, vor allem die ständig von unten angesungenen Töne, die bezeichnenderweise auch manchmal zu tief blieben. Aber insgesamt darf Mosuc mit ihrem Rollendebüt in einer der meistgefürchteten Rollen zufrieden sein.
Wenig Geschmeidigkeit
Weniger zu bieten hatten die Männer: Es gibt einen Kreis von Opernfans, die in Ekstase geraten, wenn ein Tenor so durchdringend laut singen kann, wie es Roberto Aronica als Pollione fast die ganze Partie hindurch zelebrierte. Für sie ist zweifellos diese «Norma» ein Muss. Wer Differenzierungen, stimmliche Farben und Schattierungen mag, kommt bei ihm nicht auf seine Kosten, auch nicht bei Giorgio Giuseppini als Oroveso, der die Bass partie mit wenig Geschmeidigkeit und Gefühl für Linienführung sang.