Form und Korsett

Herbert Büttiker, Der Landbote (01.03.2011)

Norma, 27.02.2011, Zürich

«Norma» ist die Oper für Enthusiasten. Im Opernhaus meldeten sie sich mit Bravos und Buhs – Letzteres vor allem für Robert Wilsons Inszenierung. Aber Blutarmut im ästhetischen Hochglanz war ein Kennzeichen der Aufführung insgesamt.

Die gallische Priesterin Norma liebt heimlich den römischen Feldherrn und hat zwei Kinder von ihm. Ihre Aufgabe, mit Hilfe göttlicher Zeichen den Zeitpunkt des Aufstandes gegen die römischen Unterdrücker zu bestimmen, nimmt sie erst wahr, als sie alle Hoffnung aufgeben muss, den Untreuen zurückzugewinnen. So gesehen ist «Norma» ein politisches Stück und ein Beziehungsdrama. In der Epoche der Uraufführung, 1831, lag Chiffrierung im Sinne des Risorgimentos in der Luft, der «Guerra»-Chor der Gallier avancierte zum Schlachtruf der Italiener. Als Liebesdrama gipfelt die Oper im überwältigenden Finale, das oft als «Liebestod» interpretiert wird, aber eigentlich etwas anderes zeigt: schicksalhafte Verbundenheit auch in der zerbrochenen Beziehung.

«Norma» ist aber mehr noch die Gesangsoper schlechthin, und Normas Kavatine «Casta Diva» das emphatischste Beispiel der grossen, weit gespannten Melodie des italienischen «Belcanto». Sie nährt sich aus den elementarsten Leidenschaften und sieht geht hinaus in sublime Regionen. Von der Enzyklopädie des Weiblichen sprach Bellini selber im Zusammenhang mit seiner Hauptdarstellerin Giuditta Pasta.

Formales Theater

In der Summe all dessen liegt die ma-gnetische Anziehungskraft dieser Oper und ein Geheimnis, das sie bewahrt. Das gilt auch für die neue Inszenierung im Opernhaus, die mit der Symbolik der von Norma besungenen Mondgöttin und den vom römischen Feldherrn repräsentierten Kriegsgott Mysterien ins Spiel bringt. Löwe, Widder und Einhorn, aber auch abstrakte Zeichen und Symbole schaffen einen Deutungsraum. Dieser bleibt weit offen, und es ist ja auch das Credo des Multikünstlers Robert Wilson, dass es in in der Operninszenierung vor allem darum geht, «einen Raum herzustellen, der es ermöglicht, Musik zu hören».

In Zürich erinnert man sich an Wilsons «formales Theater» mit stilisiert bewegtem Figurenspiel vor farbigem Hintergrund, an seine rhythmischen Lichtkonzepte und Symbolfiguren für den «Ring des Nibelungen» vor rund einer Dekade. Dass er mit «Norma» zurückkehrt (einem Lieblingsstück von Richard Wagner), entspricht einer gewissen Logik; dass sein Stil wiederum polarisiert auch. Denn dieser fasziniert mit einer gewissen Magie der Bilder im Fluss der Musik, und er irritiert durch das, was er ausschliesst: ausformulierte Handlung, körperhafte Lebendigkeit der Figuren, «Natürlichkeit» – und beides, Faszination und Irritation kommen sich nahe. Stets lauert im gespreizten Schreiten, aber auch in den designerhaften Effekten von Wilsons Hochglanzästhetik der Kippeffekt vom Erhabenen zum Lächerlichen, vom Suggestiven zum Geschmäcklerischen.

Es gibt sie auch, die grossen Momente, die unvergessen bleiben in dieser «Norma», doch immer wieder erlebt man den «Raum für die Musik» als ein Korsett für die Sänger, wobei man darüber spekulieren mag, ob eine weltmeisterliche Besetzung diesen Eindruck aufzuheben vermöchte. Gewiss aber hätte eine lebendigere Dramatik den Protagonisten der Zürcher Inszenierung mehr Schub verleihen können, den sie für die exorbitanten Anforderungen ihrer Partien hätten brauchen können. So aber bewegte sich die in Belcantopartien wie «Lucia di Lammermoor» erfolgreiche Elena Mosuc nun mit ihrem Rollendebüt als Norma auf einem schmalen Grat.

Hypnotische Momente

Wie Elena Mosuc die Partie mit Klarheit, mit präziser Deklamation und sicherer Phrasierung über Koloraturpassagen und Spitzentöne hinweg gestaltete, zumal im ersten Akt, hatte etwas Bestechendes. Aber man musste sich auch nicht aufgedonnerte Stimmexhibition herbeisehnen, um in den grossen Phrasen und deklamatorisch akzentuierten Themen, im zweiten Akt zumal, eine gewisse Blutfrische zu vermissen. Mehr Feuer loderte, gerade etwa in den parallelen Duettphrasen, in dem dunkler gefärbten, wenn auch nicht durchwegs präzis fokussiertem Mezzosopran von Michelle Breedt, die als Adalgisa dem Regiekorsett am ehesten zu entkommen schien.

Die beiden Frauenduette waren überhaupt Höhepunkte der Aufführung, wobei im ersten Finale in einem geradezu hypnotischen Zwiegespräche auch die Inszenierung bildstark ihren besten Moment hat. Die Ernüchterung folgte gleich mit der Starrheit von Pollionses üerraschendem Auftritt, mit dem sich das Duett zum Terzett weitet. Roberto Aronica war auch hier, mit voluminösem, kaum nuanciertem Tenor nicht mehr als eine tönende und die Frauenstimmen übertönende Statue. Eine ebenso statuarischer Erscheinung war der kriegerische Druide Oroveso, für den Giorgio Giuseppinis mit loderndem Bass vor seiner Mannschaft stand und schritt, und es war eigenartig, wie blass an diesem Abend für einmal der Opernchor musikalisch wirkte. Es zeigte sich dabei auch, dass der Dirigent Paolo Carignani auch mit gestenreichem Einsatz nicht in der Lage war, alle Stringenz, den grossen Schub und die emotionale Sprengkraft dieser Partitur zu entfalten und im gegebenen Bühnenklima die Aufführung über die solide Routine hinauszuführen.