Goldenes Fest für Auge und Ohr

Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (09.05.2006)

Don Giovanni, 07.05.2006, Zürich

Don Giovanni, der Frauenverführer par excellence, kommt auf die Zürcher Festwochen hin nach Zürich. Im Opernhaus war am Sonntag Premiere, in goldener Kulisse und mit Voodoo-Zauber.

Das Opernhaus Zürich nimmt auf die Festwochen hin Mozarts «Don Giovanni» ins Programm. Franz Welser-Möst lässt dafür den Orchestergraben hochfahren, das auf modernen Instrumenten spielende Orchester wirkt entsprechend direkt präsent. Sven-Eric Bechtolf führt das hervorragende Sänger-Ensemble mit Simon Keenlyside in der Hauptrolle szenisch quirlig und doch konsequent, in einem Einheitsbühnenbild von Rolf Glittenberg, einer Art modernem goldenem Spiegelsaal.

Don Giovanni lässt erschauern

Don Giovanni, der ruchlose Verführer, der respektlose Spieler und Selbst-Befriediger. Doch Mozart ist alles andere als ein Moralist, sein Don Giovanni hat Charme und Herz, und auch die leidenden Treuen sind nicht einfach die Deppen. Auf diesen Ausgleich der beiden Spannungsfelder setzt auch die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf. Mit Simon Keenlyside, dem zurzeit wohl gefragtesten Don Giovanni, prägt kein selbstüberheblicher Macho-Typ die Szene, sondern ein charmanter, subtil verführerischer Mann von eher weicher Art. Und der kann singen, dass einem der Schauder über den Rücken läuft.

Sein Gegenüber, der mit seiner Donna Anna um ihren ermordeten Vater trauernde Don Ottavio, wird von Bechtolf nicht einfach als treuer Depp gezeichnet. Piotr Beczala singt diese Partie mit Intensität und warmer Seelenkraft, und siehe da, die Frauen (Tänzerinnen) scharen sich in dieser Inszenierung auch um ihn. Diese Balance der Sympathien und stimmlichen Timbre erzeugt durch den ganzen Abend hindurch eine interessante dramaturgische Spannung.

Vielschichtige Frauenfiguren

Auch die Frauen werden nicht einfach als rachesüchtige Keiferinnen oder Unschuldstäubchen gezeichnet. Eva Mei schafft es, als Donna Anna hinter der Trauer um den Vater auch eine heimliche Sehnsucht nach dem Verführer durchschimmern zu lassen. Sie singt mit warmer und doch schlank focussierter Stimme, die ausgezeichnet zu Beczalas glutvollem Tenor passt.

An die leichte Stimme von Malin Hartelius muss man sich bei ihrem Debüt als Donna Elvira zuerst gewöhnen. Wirkte sie anfangs noch etwas unter Druck und verunsichert, steigerte sie sich in ihrer letzten Arie dann eben nicht in eine temperamentvolle Verzweiflung, sondern in eine lyrische Verinnerlichung der widerstreitenden Gefühle. Trotz spürbarer Anstrengung weiss Hartelius mit hervorragender Technik auch die dramatischen Anforderungen der Donna Elvira überzeugend und mit neuen Fazetten zu meistern.

Ein brillantes «Mozart-Frauchen»

Von einer Paraderolle kann man bei Martina Jankovás Zerlina sprechen. Unerhört die Zwischentöne, die sie im Hin und Her von Treuepflicht und Lebenslust hervorzuzaubern vermag. Das ist ein Spiel der Töne und Phrasierungen auf höchstem Niveau, ein Mozart-Frauchen von brillanter szenischer Präsenz. Ihr Masetto, von Reinhard Mayr rührend schlacksig charakterisiert, vermag in diesem hochkarätigen Stimmenensemble auch stimmlich eine eigene Farbe einzubringen.

Sven-Eric Bechtolf führt die Figuren temporeich, lässt sie rennen und auf die Möbel springen, ein physisch anstrengendes, zwischendurch auch grobes Aufeinanderzu und Voneinanderweg. Ausgelebt wird dies hauptsächlich im Dialog des «Don Giovanni» mit dem Leporello, den Anton Scharinger mit herrlichem schauspielerischem Temperament verkörpert. Zudem singt der einstige «Papageno»-Paradedarsteller trotz intensivem Körpereinsatz mit sicher kontrollierter Stimme und tölpischer Ausstrahlung.

Einheitsbühne mit Projektionen

Ermöglicht wird dieses Tempo durch den offenen Bühnenraum, einen goldenen Spiegelsaal mit endlosem Fluchtpunkt gegen hinten und mehreren Seiteneingängen. Verschiedene Vorhänge erlauben schnellste Szenenwechsel - und doch wirkt diese Einheitsbühne mit der Zeit etwas gar statisch und ermüdend. Auch die Regie-Idee, die Hauptfiguren zu vervielfachen und so den Eindruck des Allgemeingültigen zu betonen, ist zwar interessant; doch steht sie auch etwas im Widerspruch zu Mozarts einzigartigen Charakteren.

In dieser «goldenen» Umgebung wirkt dann auch die Auflösung der Geschichte etwas befremdend, das Erscheinen des Komturs. Bechtolf behilft sich mit einer Art «Voodoo»-Götterfigur aus Holz, welche eine schwarze Dienerin des Ermordeten mit sich trägt. Sie wirkt in diesem goldenen Prunksaal eher klein und mager, während die Musik stampft und dröhnt mit steinerner Wucht.

Alfred Muff, ein stimmgewaltiger Komtur, steht hinter einer Pyramide von Gläsern, die Don Giovanni für seinen Gast auf dem Tisch aufgebaut hat. Zwar stört die fremde Kultur etwas, die damit in diese «Konsumwelt» hineinreicht, und doch hat die Geister-Kraft dieser mageren Holzfigur auch etwas für sich. Warum nicht?

Fast zu präsentes Orchester

Weshalb Franz Welser-Möst trotz den modernen Instrumenten das Orchester nicht im Graben belässt, ist nur schwer nachzuvollziehen. Die Präsenz des Orchesters wird dadurch nicht nur betont, die Lautstärke in den dramatischen Zuspitzungen ist, von Welser-Möst erst noch heftig zupackend interpretiert, dann doch etwas übertrieben. Nicht ganz überzeugend ist auch der Einsatz eines Hammerklaviers anstelle des Cembalos in den Rezitativen. Das hat einen eher schwerfälligen und klanglich zu üppigen Basso continuo zur Folge.

Die Arien jedoch setzte der Dirigent vor allem im ersten Akt derart langsam an, dass die Sängerinnen und Sänger mit dem Atem ringen mussten. Die Register-Arie des Leporello etwa, und auch die an sich atemlose Rachearie der Donna Anna, verloren dadurch an Wirkungskraft. Der Applaus des Premierenpublikums war begeistert, einzig für das Regie-Team gab's vereinzelte Buhrufe.