Verena Naegele, Basler Zeitung (01.03.2011)
Robert Wilson inszenierte am Opernhaus Zürich Vincenzo Bellinis Meisteroper «Norma»
Reichen Robert Wilsons ästhetische Bilder für eine spannungsreiche Interpretation von Bellinis Meisteroper? Elena Mosucs Norma-Debüt war jedenfalls eindrücklich.
Es ist kein Ausbund an Action, was den Reiz von Bellinis «Norma» prägt und sie so betörend schön macht. Es gibt keine Schlachtenszenen, gewaltigen Wutausbrüche und extrovertierten Duelle. «Norma» ist ein literarisch kultiviertes Werk mit dichter dramaturgischer Durchdringung von Libretto und Musik. Nicht von ungefähr liebte selbst Wagner das romantische Belcanto-Stück wegen seines «einfach edlen und schönen Gesangs, der alle Leidenschaften eigentümlich verklärt».
Daher scheint es folgerichtig, dass sich in Zürich mit Robert Wilson ein Magier des stilisierten Bildes mit «Norma» auseinandersetzt. Ihm gelingen Momente von betörender sinnlicher Prägnanz. Da sind etwa die Getreuen der Druidenoberpriesterin, die mit ihren ikonografisch sinnfälligen Gewändern zugleich heiligen Hain und kämpferische Wartestellung ausdrücken, was durch das farblich nuancenreiche Lichtkonzept unterstrichen wird. Die Arie «Casta Diva» wird zum kulinarischen Ohren-Augen-Schmaus.
enge. Wilson lässt mit seiner entpsychologisierten, messerscharfe Strukturen und Formen schaffenden Regie Raum zur Entfaltung, aber er engt auch ein. So taten sich die Männer in diesem raffinierten Ambiente schwer. Roberto Aronicos Pollione, dessen Gesangspart zur Leidenschaft ausstrahlenden pathetischen Melodik tendiert, wirkte wie im Korsett. Erstarrt in Haltung und Geste, kam sein heldischer Tenor zu wenig in Schwung und bekundete in der Mittellage Mühe. Ausschliesslich «Kopf» scheint bei Wilson Oroveso zu sein, Giorgio Giuseppini sang quasi konzertant mit sonorem Bass und wenig Ausstrahlung.
Siegerin im farbintensiven, gestenreichen Kulthain war Elena Mosuc als Norma. Klein und zierlich von Gestalt, konnte sie sich gerade dank der Freiraum schaffenden Stilisierung entfalten. Nicht à la Callas mit mächtiger Stimme und dramatischer Verve, sondern ziseliert, kultiviert und mit ausgefeilter Phrasierung, Belcanto-Kunst in seltener Vollendung. Stimmlich klug zur Seite stand ihr Michelle Breedt als Adalgisa, dunkler in der Stimmfärbung, dramatischer im Impetus und mit brillanter Höhe. Erstaunlich, wie schlank die in Wagner-Partien erprobte Mezzosopranistin ihre Stimme führte, wie klar in der Färbung, wie genau in der Phrasierung – ihre Duette mit Elena Mosuc waren ein Genuss.
Wunderbar sekundiert wurden die beiden Sängerinnen vom Opernhausorchester unter Paolo Carignani, der den grossen musikgestalterischen Bogen spannte und die Einzelheiten nicht vergass. Blühende Farben und Rubati gehörten genauso dazu wie der dramatische Ausdruck. Auch der Chor sang differenziert und klangschön. Eine fast zu ausgefeilte «Norma» mit einer Überraschung am Schluss: Pollione folgt Norma nicht ins Feuer.