Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (02.03.2011)
Robert Wilson inszeniert am Opernhaus Zürich Vincenzo Bellinis «Norma»
Es gibt viele Gründe, Vincenzo Bellinis (1801–1835) «Norma» zu spielen. Opernfreunde lieben dieses Belcanto-Gipfelwerk so sehr, dass viele es auf die einsame Insel mitnehmen würden. Allerdings gibt es noch mehr Gründe, dieses Werk nicht zu spielen. Ein Riccardo Muti tat es in seiner Regentschaft als Scala-Chefdirigent zwischen 1986 und 2005 in Mailand nie, mit der einfachen Begründung, er finde die passenden Sänger nicht. Und indirekt ist damit auch das Rätsel gelöst, warum «Norma» für viele Opernfreunde ins Inselgepäck gehört: Sie würden nicht irgendeine «Norma»-Aufnahme mitnehmen, sondern nur eine mit Jahrhundert-Sopranistin Maria Callas (1923–1977).
Doch die Oper lebt nicht von Konserven, sondern vom Bühnengeschehen der Gegenwart. Die Bestrebungen der historischen Aufführungspraxis brachten es mit sich, dass mittlerweile selbst eine Barockspezialistin wie Cecilia Bartoli die Rolle der gallischen Oberpriesterin, die von einem römischen Soldaten zwei Kinder hat, aber in der Novizin Adalgisa eine Rivalin erhält, singt. Ein Jekami ist «Norma» deswegen noch lange nicht. Sopranistinnen fürchten sich vor der Rolle, auch wenn sie die Kunst der Callas zu relativieren versuchen.
Kurz: Mit den Zürcher Sängern kann man «Norma» aufführen – man muss aber nicht.
Feinste dynamische Zaubereien
Elena Mosuc scheint die Norma schon als Debütantin verinnerlicht zu haben. Packend, wie sie die Rolle mit ihren ureigenen Mitteln bewältigt. Sie macht «fehlende» Dramatik mit grosser Technik wett. Mosuc scheut jeden rohen Effekt und agiert dabei nicht unähnlich dem Stimmwunder Edita Gruberova. Mit minimen Verzögerungen und mit feinsten dynamischen Zaubereien erschafft Mosuc Spannungen, die vielen anderen trotz grossen Gesten verwehrt bleiben. Und nebenbei: Keine Linie ist Mosuc zu lang, keine Koloratur zu schwer.
Michelle Breedt als Adalgisa beweist, dass man auch bei Bellini von Silbe zu Silbe, von Wort zu Wort gehen kann. Das zeigt in den Rezitativen meist Wirkung, in den bezaubernden lyrischen Duetten mit Norma bremst es allerdings den schmiegsamen Fluss.
Gesellt sich Tenor Roberto Aronica (Pollione) zu den beiden Frauen, ists um die sanften Töne geschehen: Da will einer einfach durchkommen, egal ob die anderen Piano singen oder nicht. Auch mit dieser Masche kam Aronica in Not. Viel routinierter singt Giorgio Giuseppini (Oroveso).
Dirigent Paolo Carignani geht ungestüm in die Partitur, er will Andeuten, dass alsbald ein grosses Drama gezeigt wird. Die zauberhaften Gegensätze kommen deswegen kaum zum Tragen. Später wird er zum überragenden Zudiener der Sänger.
Die internationale Aufmerksamkeit lag nicht so sehr auf musikalischer Seite als vielmehr bei der Regie, durfte doch einmal mehr der 69-jährige Amerikaner Robert Wilson sein immergleiches Konzept über eine Opernhandlung stülpen. 1991 wars sein Zürcher «Lohengrin» ein Coup, der «Ring des Nibelungen» zehn Jahre später nur mehr Routine.
Es ging dem Lichtmagier damals wie heute darum, alles «Natürliche» aus der Bühnenaktion der Sänger zu entfernen, die Psychologisierung einer Figur sieht er als Belastung für die Erzählung.
Die Natur ist gegen Wilson
Es gab in Zürich in der Vergangenheit einige Sänger, die das Prinzip Wilson verwirklichen konnten (Volker Vogel, Anja Silja). Die Wirkung war dann enorm. Das aktuelle Quartett versteht diese Kunst nur bedingt. Da zittert die in wilsonscher Manier nach oben zeigende Handfläche des Basses vor Emotion, da mag der Tenor die stereotypen Körper- und Handbewegungen schon gar nicht mitmachen oder da beginnen Norma und Adalgisa zum Schluss des zweiten Duettes gar zu tänzeln – horribile dictu: Die Emotion schwappt über auf Sänger.
Dennoch gab es auch diesmal verblüffende Lichteffekte zu bewundern und hübsche Requisiten zu sehen. Wer das Regietheater scheut, kann Wilson verehren, so tun, als würde er moderne Regie lieben. Doch Wilsons Kunst ist alles andere als modern. Sie steht seit Jahren still, in ihr ist kein Leben mehr.