Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (22.03.2011)
Daniele Gatti ist nun wirklich in Zürich angekommen: Der Chefdirigent leitete am Sonntag mit Verdis «Falstaff» seine erste Premiere am Opernhaus. Komödiantisch und musikalisch gab sich die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf.
Schon 2009 berief Alexander Pereira den Italiener Daniele Gatti zu seinem Chefdirigenten, seine erste Premiere leitete Gatti aber erst jetzt mit «Falstaff». Ein Stück, das er sehr gut kennt, das er an wichtigen Häusern, unter anderem an der Wiener Staatsoper, schon aufgeführt hatte. Diese Erfahrungen waren zu hören: Das «Falstaff»-Konzept von Gatti war angelegt auf Detailreichtum und grosse Kontraste in der Dynamik und auch in den Tempi, aber er konnte es in Zürich mit dem offenbar noch wenig vertrauten Orchester und einem Ensemble, das in den Hauptpartien bis auf zwei gewichtige Ausnahmen mit Rollendebütanten besetzt war, noch nicht wunschgemäss umsetzen.
Schon im Orchester blieb in der anspruchsvollen Partitur vieles recht ungenau, was vor allem auf Kosten der Spritzigkeit ging und zu einem eher pauschalen Klangbild führte, das Giuseppe Verdis ausgefeilter Orchestrierung oft nicht gerecht wurde. Auch die klangliche Balance innerhalb der Register wirkte zeitweise unausgegoren und vor allem in den lauten Passagen für ein Orchester von diesem Niveau doch recht unkultiviert.
Überragender Falstaff
Auch die Koordination mit der Bühne gelang nicht mit der nötigen Präzision, die Schlussfuge drohte gar aus einanderzufallen. Vorbildlich dagegen war Gattis dynamisches Spektrum im Begleiten der Sänger, denen er stets genügend Raum zur Entfaltung liess. Das lohnte sich vor allem bei Ambrogio Maestri in der Titelrolle: ein Falstaff von wahrlich imposantem Format. Maestri kennt diese Rolle bis in die innersten Ver ästelungen und kann sie stimmlich souverän bis in die Feinheiten der Stimmfarben und der sprachlichen Nuancen ausfüllen. Zudem war er ohne Mühe im Stande, das szenische Potenzial dieses grandiosen Antihelden zwischen tragischer Grösse und vernichtender Lächerlichkeit mit Emotionen auszufüllen.
Die andere routinierte Protagonistin in dieser Besetzung, Barbara Frittoli als Alice, konnte trotz Engagement und eigentlich vielfältiger stimmlicher Mittel weniger überzeugen. Auch bei ihren drei Kolleginnen, Eva Liebau als Nannetta, Yvonne Naef als Quickly und Judith Schmid als Meg Page, blieben manche Wünsche in der Gestaltung der Partien und an stimmlicher Delikatesse offen. Besser fand sich ein strahlender Javier Camarena als Fenton in seiner Partie zurecht, und Massimo Cavalletti zeigte mit seinem satten Bariton als Ford ein imposantes Debüt.
Witz und Tempo
Der Regisseur Sven-Eric Bechtolf und der Bühnenbildner Rolf Glittenberg siedelten die Inszenierung mit losen Assoziationen irgendwo in den Sixties und in einer von Shakespeares Globe-Theater inspirierten Scheune an, ohne daraus viel Gewinn zu ziehen. Bechtolf konzentrierte sich vor allem darauf, die Komödie bis in alle Untiefen des ihr innewohnenden Humors mit Witz und Tempo abschnurren zu lassen. Er blieb dabei sehr nahe an der Musik: Oft hatten auch kleinste musikalische Ereignisse ihre direkte szenische Entsprechung, ein Theater-mittel, das schnell langweilen könnte, es hier aber nicht tat, weil die Qualität der Einfälle und die Präzision der Umsetzung so hoch waren, dass daraus ein verspieltes Vergnügen wurde – quasi eine intellektuelle Distanzierung vom doch recht grobschlächtigen Handlungsfaden.
Diese Feinheit in der Detailarbeit und die Freude am Herauszeichnen von individuellen Szenen und Situationen blieb dann im nächtlichen Wald auf der Strecke. Bechtolf konnte sich nicht recht entscheiden zwischen Feenzauber und dem Weiterzeichnen der Komödie, was zu einer recht starren und statischen Situation führte, ein Vakuum, das weder das Orchester noch Liebau, für die Verdi in dieser Szene eigentlich sehr viel Profilierungsmöglichkeiten geschaffen hatte, auszufüllen vermochten.