Tobias Gerosa, Basler Zeitung (22.03.2011)
Verdis letzte Oper und weise Komödie erfährt eine klassisch geprägte Aufpolierung, werkdienlich und solid. Brillanz gibts primär sängerisch.
Anderthalb Jahre ist Daniele Gatti schon Chefdirigent am Opernhaus Zürich, genauso viel steht ihm noch bevor. Am Sonntag dirigierte er jetzt seine erste Premiere (es kommen, das muss fairerweise gesagt werden, noch deutlich mehr). Giuseppe Verdis letzte Oper «Falstaff» ist sicherlich ein Chefstück – aber keine zwingende Visitenkarte von Gatti: Dafür ist die Interpretation zu uneinheitlich und die Präzision nicht premierenwürdig. Gatti prescht los, als gäbe es nicht die orchestral filigranste Verdi-Partitur umzusetzen. Immer wieder kracht das Orchester über die Sänger, das Zauberhafte und Leise spart er sich für den dritten Akt (ein Konzept?) und für zwischendurch blitzende, feine Miniaturen auf.
verschenkt. Dass sich musikalisch kein rechter Bogen ergeben will, liegt aber noch stärker an den Tempi und der mangelnden Koordination. Wie nie sonst hat Verdi im «Falstaff» am Sprechrhythmus komponiert, Gattis Vorgaben aber sind so rasant, dass sich die rhythmischen und sprachlichen Konturen verwischen: Das berühmte Ensemble im zweiten Akt, in dem neun Stimmen drei verschiedene Taktarten singen, leidet darunter wie die Schlussfuge. Der musikalische Witz wird verschenkt, indem man ihn nur schwer hört.
Schade, denn das Ensemble kann sich hören und sehen lassen. Javier Camarena (Fenton) und Eva Liebau (Nannetta) geben ein frisches Liebespaar, und Yvonne Naef macht Quickly zur überlegenen Strippenzieherin, ohne sie zur Karikatur zu verzerren.
verfressen. Die Personenregie hat Alice Ford (edel im Ton: Barbara Frittoli) zu einer emanzipierten Stellung verholfen – mindestens für die 1950er, in der die Inszenierung die Fords ansiedelt. Das Lebensprinzip des feisten, verfressenen und liebessüchtigen Ritters Falstaff würde wohl in jeder Epoche als Fremdkörper wahrgenommen, Rolf und Marianne Glittenberg (Ausstattung) stigmatisieren ihn in seinem elizabethanischen Wams ausdrücklich als Anachronismus, ja als Bruder Don Quichotes. Regisseur Sven-Eric Bechtolf (Pereiras Schauspieldirektor ab 2012 in Salzburg) nimmt den optisch lichten Rahmen auf, frischt die Komödie auf, ohne ihr neue Aspekte abzugewinnen oder allen Darstellern die Operngesten ganz abzugewöhnen. So mischt sich bei Massimo Cavalettis Ford sängerisch überzeugende Gestalt mit viel italienischer Standardkomödiantik.
Die fällt umso mehr auf, als dass Ambrogio Maestri, seit einem Jahrzehnt der Falstaff vom Dienst, davon ganz frei ist. Er gestaltet mit erstaunlich hellem Bariton und guter Beweglichkeit einen Falstaff mit philosophischem Fundament, Sinn für den Text und reichen stimmlichen Farben – ganz wie man ihn sich wünscht und vorstellt: so sympathisch wie monströs und damit wieder ganz beim Stück.