Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (05.04.2011)
Wohin eine intellektuell aufge motzte Inszenierung eine Oper treiben kann, ist derzeit mit Wagners «Parsifal» im Theater Basel zu sehen. Die Premiere am Sonntag gelang zum Glück wenigstens musikalisch.
Es schneite zum «Karfreitagszauber», als die Natur laut Libretto und Musik aufblühen sollte. Das wunderte bei der Basler Premiere zu diesem Zeitpunkt allerdings niemanden mehr. Denn die Inszenierung von Benedikt von Peter verweigert sich von Beginn weg praktisch konsequent jedem szenischen oder inhaltlichen Element von Wagners letzter Oper.
Er erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Titurel: Allan Evans wird zum «Autor» umfunktioniert, der vor der Bühne an seinem Schreibtischchen die Oper erst komponiert und dabei mit den von ihm erschaffenen Figuren mitfiebert und -leidet. So ist zum Beispiel Amfortas sein Alter Ego; er spricht Worte mit, singt auch mal eine Phrase von Klingsor oder anderen und tigert auf der Bühne herum. In den Pausen dagegen sehen wir ihn im Foyer in seinem kleinbürgerlichen Häuschen, wo Kundry seine Ehefrau ist und der Alltag einen eher tristen Eindruck hinterlässt.
Theater muss irgendwie stattfinden
Ein Bühnenbild gibt es nicht, nur drei Türme mit Scheinwerfern stehen herum, auf denen die nötigsten Requisiten – Schwert, Kelch, Speer, Blumenstrauss – ihren Platz finden. Weil Theater halt dann doch irgendwie stattfinden muss, sehen wir alles, was dazu benötigt wird, es in Bewegung zu setzen. Wägelchen mit Scheinwerfern fahren scheppernd über die Unebenheiten des Bodens, der eine Chorist sucht die Steckdose, während der andere über das Kabel stolpert.
Die Zwillingspaare, die in dieser Inszenierung eine zentrale Rolle spielen sollen – welche, wird allerdings bis zum Schluss nicht klar –, räumen immer mal wieder ein bisschen auf. Vor dem zweiten Aufzug gibt es aus einem ebenso wenig ersichtlichen Grund einen Wassereinbruch auf der Bühne; während der Enthüllung des Grals spielen zwei Zwillingsbuben im Trockeneisnebel Fussball, und im dritten Akt scheppert Parsifal wie ein trotteliger Don Quichote mit den Resten seiner Rüstung in die Karfreitagsmusik. Wenn er Amfortas’ Amt übernimmt, so bleibt das pure Behauptung: Bis zum Schluss hat er keine Ahnung, was er hier eigentlich soll: Der reine Tor, so klug als wie zuvor. Selbst die Taube verirrt sich und landet auf der toten Kundry.
Wagners Gedanke interessiert nicht
Wagners Erlösungsgedanke, der in dieser Oper auf die Spitze getrieben wird und praktisch für jede Figur seine individuelle Ausprägung hat, inte r essiert den Regisseur überhaupt nicht. Stattdessen errichtet er ein intellektuelles Gedankengebäude, das nie ein Fundament erhält. Die Inszenierung nimmt der Oper nicht nur die Feierlichkeit – sie nimmt ihr praktisch jeden Sinn.
Diese Erlösungs-Oper lässt sich nicht umdeuten, ohne dass man gegen grosse Teile der Musik antreten muss. Und wenn man das so konsequent tut wie Benedikt von Peter in Basel, dann müsste man mindestens ansatzweise zeigen, was man sich als Ersatz dafür ausgedacht hat. Im Programmheft stehen ganz viele, möglicherweise kluge Ideen zum «Parsifal», aber eine Inszenierung ist keine Vorlesung. Was man sieht zu Musik und Gesang ist die Inszenierung, und die konnte ihre Existenzberechtigung nie beweisen.
Die Musik rettet den Abend
Ein Wunder, dass die Musik unter diesen Umständen dennoch in der Lage war, über den fünfstündigen Abend zu tragen. Ein klanglich differenziertes, mit Delikatesse spielendes Orchester und die einmal mehr in Basel formidabel singenden Chöre trugen das Ihre ebenso dazu bei wie ein überzeugendes – und offenbar von seiner szenischen Aufgabe überzeugtes – Solistenensemble. Vor allem Ursula Füri-Bernhard zeigte als Kundry eine phänomenale, in allen Facetten dieser vielschichtigen Rolle beeindruckende Partie. Mit Rolf Romei sang ein vergleichsweise lyrischer Tenor die Titelrolle, was in wenigen Momenten kurz spürbar wurde. Aber insgesamt bestach auch er mit seinem schönen, runden Timbre und der Gestaltung der Linien. Etwas weniger schmiegsam sangen Alfred Walker als Amfortas und Stefan Stoll als Klingsor. Stärker vermisste man stimmliche Delikatesse und adäquate Linienführung bei Liang Li als Gurnemanz.
Beim Dirigenten beschweren konnte sich keiner: Axel Kober nahm zwar gewisse Passagen eher langsam, vor allem aber liess er die dynamischen Spannungskurven im Grossen wie im Kleinen stets wieder aus dem Piano aufblühen. Für die Regie aber gab es am Ende kräftige Buhrufe. Und das will in Basel etwas heissen.