Karfreitag ohne Zauber

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (05.04.2011)

Parsifal, 03.04.2011, Basel

Wer sagt da Bühnenweihfestspiel? Wagners «Parsifal» am Theater Basel

Nach 34 Jahren wagt sich das Theater Basel wieder an Richard Wagners mit Pausen über fünfstündiges letztes Musikdrama. Nach der Premiere am Sonntag gabs viel Applaus, vermischt mit Buhs für das Regieteam.

«Parsifal» ist nicht nur das letzte, sondern auch das umstrittenste Musiktheaterstück Richard Wagners. Und es ist wohl die Wagner-Partitur, welche bisher die kontroversesten Bühnendeutungen erfuhr. Allein in den letzten paar Jahren gab es so unterschiedliche szenische Verwirklichungen wie die von Christoph Schlingensief und Stefan Herheim in Bayreuth, von Calixto Bieito in Stuttgart und von Nikolaus Lehnhoff, zuletzt in einer englischen Version in London (BaZ vom 19. Februar 2011). Eine der nächsten Stationen ist das Opernhaus Zürich, wo Claus Guth am 26. Juni seine «Parsifal»-Version zur Diskussion stellt.

gelöst. Jetzt reiht sich das Theater Basel mit einem weiteren «Parsifal» ein, von dem man sagen kann: So hat man dieses Spiel um Siechtum und Erlösung, um Schuld und Vergebung, um Heidentum und Christusglauben noch nie erlebt. Regisseur Benedikt von Peter versteht den Begriff der Erlösung als Wunsch, im anderen Menschen sich selbst zu erkennen. Symbolhaft steht dafür das Zwillingspaar, und daher sind den Figuren der Oper Zwillings-Doubles beigegeben, und die zahlreichen Statisten sind konsequent zwillingsmässig verdoppelt. Sodass man vermutlich noch in zwanzig Jahren sagen wird: Der Basler «Parsifal» von 2011, das war doch der mit den Zwillingen …

Lässt sich dieser Interpretationsansatz noch halbwegs nachvollziehen, so strapaziert von Peter allerdings das Stück mit seiner Idee, ihm einen an einem Tischchen vor der Bühne sitzenden Autor hinzuzuerfinden. Da dieser zugleich die kleine Rolle des alten Titurel spielt, als Alter Ego (oder Zwilling) des Königs Amfortas gezeichnet ist und bisweilen, etwa beim Streit Kundrys mit Parsifal im ersten Akt, gestikulierend ins Bühnengeschehen eingreift – Allan Evans absolviert dies alles mit schauspielerischer Agilität und sängerisch ungebrochen –, ergeben sich einige schwer auflösbare Verwicklungen.

Ist Titurel nun der geheime Urheber des Stücks, oder ist es Amfortas, und worin besteht überhaupt der Mehrwert dieser Kunstfigur des mitwirkenden, mitleidenden Autors? Auflösen lässt sich das Vexierbild nur, wenn man hinzudenkt, dass sich der alte Wagner tendenziell mit dem ewig sterbenden Amfortas identifizierte, wofür die Tagebücher Cosimas einige Anhaltspunkte bieten. Kundry entspräche dann Wagners Frau Cosima, und der Autor am Tischchen ist Wagner ist Titurel ist Amfortas – o heilige Opern-Verrätselung …

geändert. Der amtierende, aber durch seinen Sündenfall mit Kundry schwer verletzte und durch den Verlust des Speers an den Zauberer Klingsor in seiner Macht beschädigte König Amfortas ist in dieser Inszenierung unentwegt auf der Bühne, und das führt zu einigen weiteren Knacknüssen für den mitdenkenden Opernbesucher. Wenn der junge Held Parsifal im zweiten Akt Kundry auffordert, ihr den Weg zu Amfortas zu weisen, dieser aber leibhaftig neben den beiden steht, muss man gefälligst von dieser Tatsache abstrahieren und sich bewusst machen, dass Amfortas nur als Gedankenwesen anwesend ist, während Parsifal und Kundry es durchaus im realen Raum sind.

Das Anspielen gegen den Text gehört hier zum Inszenierungsmodus – ein Jungstar der Regie wie Benedikt von Peter will eben keine geradlinige Geschichte erzählen, sondern inszeniert gern mit doppeltem Boden, das heisst mit einem Subtext zum Bühnentext. Auffällig ist, dass Amfortas im ersten Akt entgegen dem gesungenen Text nicht hereingetragen wird, sondern munter hin- und herspaziert. Dass Kundry im selben Akt nicht liegt, wenn Gurnemanz feststellt «Dort liegts, das wilde Weib». Und dass es ausgerechnet im frühlingshaften dritten Akt zu den Worten «Es lacht die Aue» kräftig auf der Bühne schneit.

Den «Karfreitagszauber» haben wir auch noch nie auf einer Trash-Kompostwiese gesehen, resultierend aus den übrig gebliebenen florealen Mitbringseln der Blumenmädchen im zweiten Akt, unter die sich amüsanterweise auch einige verwelkte Blümeriche mischten.

Seine ganze ungebremste Ideenflut, zu welcher auch Fussball spielende Knaben gehören, hindert das Regieteam (Bühne: Natascha von Steiger) nicht daran, Wagner in einigen Details geradezu sklavisch genau zu folgen. So wenig es sich an Wagners Bühnenvisionen hält – die drei Akte spielen unterschiedslos auf einem hässlichen Platz mit drei an Sportstadien erinnernden Scheinwerfertürmen –, so akribisch ist es beim Schwan, den der ahnungslose Parsifal geschossen hat, und bei der weissen Taube, die am Ende herniederschwebt. Apropos Tiere: In dieser tierfreundlichsten Oper Wagners gibt es auf der Basler Bühne auch ein Hündchen, das Kundry oder dem Magier Klingsor beigegeben ist. Vielleicht ist es die Hündin Molly, deren Tod Wagner zur Zeit der Uraufführung des «Parsifal» beklagte …

GEFORDERT. Der Zauberer Klingsor ähnelt optisch einem Metzgermeister (warum nicht?) und wird von Stefan Stoll mit mächtiger Bass-Autorität und spielerischem Witz verkörpert. Seine Kundry ist in der Basler Produktion Ursula Füri-Bernhard, und das heisst fast schon zwangsläufig: grossartige Bühnenpräsenz, schneidend scharfes Kundry-Lachen, viel Sprechgesang und rollendeckende Sopran-Präzision. Amfortas wird von Alfred Walker gesungen, und nachdem er einen langen Abend lang auf der Bühne liegen und sitzen muss, staunt man dann doch, wie klar sein kerniger Bariton noch anspricht.

Eine Glanzbesetzung der Basler Produktion ist der Gurnemanz des chinesischen Bassisten Liang Li. Zugleich Erzähler, Vaterfigur, Mentor und Moderator – Liang Li ist dieser komplexen (und mörderisch langen) Partie in jedem Takt gewachsen, singt über weite Strecken gar textverständlich. In der Titelpartie erlebt man mit dem jungen Rolf Romei einen Schweizer Tenor, dem man diese höchst anspruchsvolle Rolle bis vor Kurzem nicht zugetraut hätte. Romei bewältigt sie, ein paar Intonationstrübungen und wenige unfreiwillige Freiheiten im Text abgerechnet, mit seinem hellen, klar zeichnenden Tenor souverän und schauspielerisch gewinnend.

Zu den positiveren Seiten dieser Produktion zählt die Art und Weise, wie der ganze Theaterraum mitsamt den Balkonen und den Beleuchtungsbrücken genutzt wird – im ersten Akt von den Solisten, danach zunehmend auch vom Chor, der in der Einstudierung von Henryk Polus und Markus Teutschbein (Knaben) hervorragende Arbeit leistet. Dasselbe gilt für das Sinfonieorchester Basel, das an einigen Blechbläserstellen verrät, dass es nicht allzu oft Wagner spielt, in den Streichern (Solovioline!)indes bezaubernd differenziert klingt.

Axel Kober ist der fleissige Gastdirigent von der Deutschen Oper Düsseldorf/Duisburg, der dies alles musikalisch zu verantworten hat. Seine Neigung zu bleiern schwerem Mittelmass in Tempo. Dynamik und Ausdruck dürfte er für künftige Aufführungen des Basler «Parsifal» ruhig hinterfragen und Sänger, Chöre und Orchester zu mehr Leichtigkeit und Spannung anhalten. Die Musik muss ja nicht unbedingt alle Auffälligkeiten der Regie überlassen.