Über die Unmöglichkeit der Liebe

Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (05.04.2011)

Parsifal, 03.04.2011, Basel

Neuproduktion von Wagners «Parsifal» am Theater Basel

Das letzte von Richard Wagners Musikdramen, das 1882 in Bayreuth uraufgeführte Bühnenweihfestspiel «Parsifal», ist für jeden Regisseur eine Knacknuss. Wie soll man diese mittelalterliche Ritterrunde darstellen, die den Heiligen Gral hütet, die Schale, aus der Jesus beim letzten Abendmahl getrunken hat? Geht es da überhaupt um christliche Inhalte? Wer ist Kundry, diese vom Zauberer Klingsor beherrschte Frau, die den Gralskönig Amfortas verführt, die aber dem unwissenden Parsifal nichts anhaben kann? Und ist der Schluss, wenn Parsifal den darniederliegenden Amfortas mit dem zurückeroberten Speer erlöst, positiv oder negativ zu deuten?

Penetrant, aber konsequent

Benedikt von Peter, der bei der «Parsifal»-Neuproduktion am Theater Basel Regie führt, die Bühnenbildnerin Natascha von Steiger und die Kostümbildnerin Katrin Wittig zeigen ihre eigenwillige Deutung mit Konsequenz, aber auch Penetranz. Die Oper, die man hier zu sehen bekommt, müsste eigentlich «Amfortas» heissen, denn der Regisseur rückt den siechen Gralskönig eindeutig in den Vordergrund. Während der ganzen viereinhalbstündigen Vorstellungsdauer steht, sitzt oder liegt Amfortas auf der Bühne.

Im zweiten Akt, in dem er eigentlich gar nichts zu suchen hat, verfolgt er eifersüchtig den amourösen Dialog Kundrys mit Parsifal, am Schluss des Akts entreisst er Klingsor sogar den Speer und versucht damit Parsifal zu ermorden. Parsifal wird also bei von Peter zum Nebenbuhler, die nicht realisierbare Liebe zwischen Kundry und Amfortas zum Angelpunkt des Geschehens. Symbol dafür sind die Spielzeuggrale und -speere, die von zwillingshaft gekleideten Statistenpaaren herumgetragen werden.

Hat diese Sicht durchaus ihre Berechtigung, so wirkt die eigenmächtige Einführung einer Autor-Figur reichlich aufgesetzt, ja die Aufdringlichkeit, mit der die Idee umgesetzt ist, geht einem mit der Zeit richtig an die Nerven. Der Autor, verkörpert durch Allan Evans, sieht Amfortas zum Verwechseln ähnlich und stellt ein Alter Ego desselben dar. Zu Beginn sitzt er im Proszenium, greift aber in der Folge immer stärker in die Handlung ein, leidet mit Amfortas mit und übernimmt an einigen Schlüsselstellen gar kleine Gesangspartien.

Der Autor ist aber auch ein Doppelgänger des Komponisten Wagner, der im Kunstwerk die grosse Liebe denkt und in der Wirklichkeit unter dem Ehealltag leidet. Während der beiden Pausen kann das Publikum diesen Alltag in einem Glashaus im Foyer des Theaters studieren: Darin erstarren ein Double von Kundry und eines von Amfortas in Schweigen, dem wohl ein heftiger Ehekrach vorausgegangen sein muss.

Auf der musikalischen Ebene wird der Basler «Parsifal» zu einem berührenden Erlebnis. Der Dirigent Axel Kober führt die Solisten, das Sinfonieorchester Basel, den Chor des Theaters Basel und die Knabenkantorei Basel mit ausgesprochenem Gespür für klangliche, dynamische und räumliche Proportionen. Eine glückliche Hand hat er insbesondere bei der differenzierten Wiedergabe der verschiedenen Leitmotive, welche den Wagnerschen Orchestersatz durchziehen.

Das Ensemble

Rolf Romei kommt der Vorgabe des «Reinen Tors» mit seiner ungekünstelten Ausstrahlung und seinem jugendlich-frischen Tenor erstaunlich nahe. Ursula Füri-Bernhard deutet Kundry nicht von den Extremen der lüsternen Verführerin und der reuigen Büsserin her; in ihrem schlichten Kleid, das sie nie wechselt, wirkt sie vielmehr als eine natürliche, sinnliche und liebessehnsüchtige Frau, und mit ihrem geerdeten Mezzosopran bringt sie diese Gefühle überzeugend an den Mann. Der in New Orleans geborene Alfred Walker zeigt einen stimmlich ergreifenden und charakterlich depressiven Amfortas; als Schwarzer in Strassenkleidung steht er meilenweit von dem entfernt, was man sich klischeehaft als spanischen Gralsritter vorstellt. Internationales Kolorit verströmt auch Liang Li als Gurnemanz, der weniger als Weiser denn als wenig emotionaler Chronist erscheint. Und Stefan Stolls Klingsor ist kein dämonischer Zauberer, sondern ein Pascha, der seinen Harem der Blumenmädchen geniesst.