Der Doppelgänger bringt nur den Tod

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (05.04.2011)

Parsifal, 03.04.2011, Basel

Wagners «Parsifal» am Theater Basel als Drama des alternden, verzweifelnden Künstlers

Amfortas ist in Benedikt von Peters «Parsifal»-Inszenierung am Theater Basel ein an der irdischen Liebe Leidender. Die Liebe zur Frau, zu Kundry, hat dem Gralskönig, der die Menschen erlösen wollte, die nicht heilende Wunde geschlagen. Weil er sich verführen liess, konnte ihm Klingsor, der eifersüchtige Herrscher über das Reich irdischer Lust, den heiligen Speer entwenden und ihn verwunden. Parsifal, der reine Tor, der der körperlichen Liebe entsagt und durch Mitleid wissend wird, verheisst Erlösung. Er führt Gral und Speer wieder zusammen.

Das Bild der Zwillinge

Von Peter liest Wagners Bühnenweihfestspiel als das psychologische Drama des Menschen, dem der Erlösungswunsch inhärent ist. Der alternde Künstler arbeitet über seine Kunst an seiner Erlösung. Die Liebe zur Frau brachte sie nicht, da sie ihm Kastrationsangst und Vergänglichkeit vor Augen führte. Davon erzählt von Peter in einer Installation im Foyer. Nun sucht der Künstler Erlösung in der Vereinigung mit dem eigenen Kunstwerk, also mit sich selbst.

In Basel sitzt dieser Künstler vor der leeren Bühne (Natascha von Steiger) mit drei Scheinwerfertürmen und erzählt hier seinen «Parsifal». Ergreifend und lebensecht spielt Allen Evans den Künstler, der sich in der Figur Amfortas verdoppelt. Er ist hier zweifach Amfortas’ Vater: als Titurel im Stück und als Schöpfer der Figur. Er leitet Amfortas und leidet, fiebert mit ihm.

Diese Suche nach dem eigenen Ich im Doppelgänger setzt von Peter mit dem Bild des Zwillings in Szene. Auf der Bühne, in der Pause im Foyer, überall begegnen uns Zwillinge. Das Bild erzählt viel: Lebendige Zwillinge sind nie eins. Die Sehnsucht nach dem Einswerden mit sich, das ist der Tod. Leider überlädt von Peter das Bild teils mit zu viel Zwillingen.

Was auf der Bühne spielt, entsteht im Kopf des Künstlers. Er schafft sich die Figur der Kundry als Abbild seiner Frau, der er die Schuld an seinem Leiden zuweist. Sie erscheint nicht als Verführerin, sondern als reale Frau, die für das Leben steht. Ursula Füri-Bernhard gibt die Kundry packend. Verführend kann sie im Gesang sein, Sie zeigt auch die Gebrochene und grell die Zornige.

Parsifal verkörpert eine Summe an bekannten Heldenbildern. Den ihn bezirzenden Blumenmädchen tritt er auch im wörtlichen Sinn als gepanzerter Ritter entgegen. Die Mädchen, die ihm die Rüstung abreissen, verstören ihn. Wahrhaftig erschreckt ihn aber Kundrys Kuss: in von Peters Lesart sieht Parsifal in diesem Moment in der Frau das Bild von Mutter und Hure, der Liebesakt wäre Inzest und ein Verrat am symbolischen Vater Amfortas. Rolf Romei spielt und singt das als Parsifal eindrücklich. Er meistert mit lyrischen Farben die schwere Partie.

Allgemein wird in der Basler Produktion sehr gut gesungen. Bariton Alfred Walker gibt stimmkräftig und ergreifend den verzweifelnden Amfortas. Grossartig ist Liang Li mit markantem Bass als Gurnemanz. Stark auch Stefan Stolz als Klingsor. Dramatik entfaltet der Chor des Theaters mit der Knabenkantorei Basel.

Die Leere der Symbole

Illusorisch wie die Erlösung ist die Kraft des Grals. Der Kelch, den das Volk anbetet, das die Regie anstelle der Ritterschar setzt, leuchtet nur, wenn er von aussen angestrahlt wird. Dafür müssen ihn die Gouvernanten, die als des Künstlers Dienerinnen durchs Stück führen, zuerst polieren. Von Peter arbeitet stark mit Mitteln des erzählenden Theaters, schafft in den Gralsszenen einen Zauber, die er sofort bricht. Das sind starke Szenen. Das vergebliche Warten auf Erlösung bedeutet Tod. Dass dieser Stillstand hier zelebriert wird, leuchtet ein, macht die Inszenierung des mehr als vierstündigen Werkes manchmal aber auch zäh.

Dafür verantwortlich ist zum Teil auch Dirigent Axel Kober. Er lässt das stark aufspielende Sinfonieorchester Basel durchsichtig spielen und fächert die Farben auf. Doch teils breit angelegte Tempi rauben der Musik im ersten Akt Spannung. Dirigent, Chor, Orchester und Ensemble wurden vom Publikum gefeiert. Die Regie aber spaltete es.