Tom Hellat, Tages-Anzeiger (05.04.2011)
Das Basler Theater stellt sich Richard Wagners Bühnenweihfestspiel mit entschlossenem Willen zur Deutung.
Der Bösewicht Klingsor (Stefan Stoll) hockt vor seiner Ikealampe in Badeschlappen und geifert gegen die ach so hehren Gralsbrüder. Das Böse, es ist hier ganz banal. Ein jeder könnte böse sein. Und jeder ein Verführer. Die Konsequenz? Wagners erotisierende Blumenmädchen stecken in Strassenkleidern mit behelfsmässig übergestülpten Rosen-Tutus. Das Zauberreich Klingsors besitzt hier in Basel so wenig Sex-Appeal, dass man fast versteht, warum Parsifal die Verführerinnen von der Bettkante stösst.
Wenn sich Regisseure unter die erhabene Kuppel von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel «Parsifal» wagen, können sie schon mal ins Schwitzen kommen. Umstellt von der Gralsrittergemeinschaft und den Objekten ihres Reliquienkults, also der ganzen Tradition, sollen sie erklären, was es mit dem Gral und dem Liebesmahl auf sich hat, sollen Bilder finden für Kelch und Speer, sollen sich zu ominösen Rätselworten wie der Schlussformel «Erlösung dem Erlöser!» verhalten und Theater mit Ritual in Einklang bringen.
Der eigennützige Märtyrer
Der ganze hochheilige Symbolreigen: In der Basler Inszenierung von Benedikt von Peter wird er nicht nur in das Hier und Jetzt geworfen. Er wird auch noch mit Doppelgängern angereichert. Die Gestalten erscheinen so auf rätselhafte Weise mehrdeutig – grausig abzulesen etwa an der Figur des Amfortas. Sein Leiden ist selbst verschuldet. Zugleich bietet er aber auch ein frappierendes Bild dafür, wie viel Eigennutz und depressives Grübeln im Märtyrertum stecken. Alfred Walker gibt den Amfortas hadernd, nur in der Wärme des Gesangs wird etwas vom ehemaligen Glanz des Helden spürbar. Der anfänglich «tumbe Thor» Parsifal darf viel ungebrochener bleiben: In Unterhosen und mit Adoniskörper verfügt Rolf Romei sowohl stimmlich als auch äusserlich über Strahlkraft.
Das alles spielt in einer Innen- und Aussenperspektiven raffiniert verschränkenden Kulisse statt – Gerüsttürme stehen da herum, mit grossen Scheinwerfern (Bühnenbild: Natascha von Steiger). Im Hintergrund ein Gazevorhang, darauf der Spruch: «Denn im Kunstwerk werden wir eins.» Wieder wirft uns hier die Regie eine zusätzliche Bedeutungsebene entgegen, als wollte sie sagen: «Wagners Parsifal ist ein komplexer Komplex! Denkt da den Rest selbst!» Die Frage ist nur, was? Denn auch der vor der Bühne installierte Autor (Allan Evans), der das Drama als seine Kopfgeburt vorstellt, ist ein Regie-Kunstgriff, der mehr Fragen aufwirft als beantwortet.
Erlösung durch die Hintertür
Die letzten Antworten sind sowieso der Musik überlassen. Ernsthaft kommen hier die Klänge daher, dunkel und trotzdem transparent schimmern sie. Klarheit paart sich beim Dirigenten Axel Kober mit einer weichen Milde, die selbst heftigste Ausbrüche ermöglicht. Etwa bei Kundry, die sich bei Ursula Füri-Bernhard zwischen Triebhaftigkeit und Erlösungssehnsucht schier zerreisst. Das entspricht durchaus den Absichten der Regie, die im «Parsifal» die Möglichkeit einer Welterlösung korrumpiert. Das bedeutet musikalischer Verzicht auf Bombast, Triumph, Behauptung, Lärm. Die Erlösung, sie kommt hier, wenn überhaupt, durch die Hintertür angeschlichen – ist ephemer und flüchtig. Was auch zum letzten pessimistischen Bühnenbild passt.
Wenn da am Bühnenprospekt statt der bis dahin überdimensionalen Erlösungstragödie eine kleine Friedenstaube, auf dem Rücken Kundrys sitzend, hell und aus sich heraus zu leuchten beginnt, dann scheint der Regisseur seinem Publikum zuzurufen: «Seht her, der Frieden ist ganz klein und flüchtig. Meist fliegt er davon.»