Alfred Zimmerlin, Neue Zürcher Zeitung (27.04.2011)
Verdis «Ballo in maschera» mit Nello Santi am Opernhaus Zürich
Musikalisch grandios gibt sich der neue «Maskenball» von Giuseppe Verdi am Opernhaus Zürich. Die Inszenierung von David Pountney trägt dagegen zu dick auf und wirkt altmodisch.
Wie liebt Nello Santi seinen Verdi. In fünf Monaten wird der Maestro achtzig, doch die Premiere von Giuseppe Verdis «Un ballo in maschera» am Opernhaus Zürich leitete er mit jugendfrischem Temperament. Welch ein Genuss, das Orchester der Oper Zürich unter seiner Leitung Verdi spielen zu hören. Vielfältig zeigt sich die Musik in ihrer hochdifferenzierten Charakterisierungskunst, atemberaubend sind die Farben gemischt. Und mit sicherem, stimmigem Zeitgefühl führt Santi einen durch den musikalisch überhaupt mehr als erfreulichen Abend. Was ihm einen wohlverdienten Sonderapplaus einbringt. Auch der von Jürg Hämmerli vorbereitete Chor und Zusatzchor der Oper Zürich hatte eindrückliche Auftritte.
Musikalische Höhepunkte
Piotr Beczala ist ein lyrischer Tenor von Format, den enormen Anforderungen der Rolle des Schwedenkönigs Gustavo III. war er bestens gewachsen. Vielfältig, schillernd kann er ihn singen, musikalisch wird Gustavo bei ihm eine komplexe Persönlichkeit, ein Spieler, aber auch ein Empfindsamer. Und die Brillanz in Beczalas Timbre kann sich auch in musikalisch dichteren Texturen mühelos durchsetzen. Exzellent, berührend Fiorenza Cedolins, welche eine ganz eindringliche Amelia sang und jeden ihrer grösseren Auftritte zu einem Ereignis werden liess. Vladimir Stoyanovs Bariton passt wunderbar zur Rolle des Attentäters Renato, Sen Guo brillierte mit ihrem hell-beweglichen, aber auch kräftigen Sopran in der Hosenrolle des Pagen Oscar, und Yvonne Naef stattete die Wahrsagerin Ulrica mit reichen Farben und einer Intensität sondergleichen aus: ein faszinierender Moment an diesem an musikalischen Höhepunkten gewiss nicht armen Abend.
Wie heute meist üblich spielte der «Ballo» – auch auf Wunsch Nello Santis – nicht in Boston, wie es die italienische Zensurbehörde von Verdi verlangt hatte, sondern am schwedischen Königshof von Gustav III. Denn die ursprüngliche Absicht Verdis und seines Librettisten Antonio Somma war es, die historische Ermordung des Königs während eines Maskenballs im Theater von Schloss Drottningholm zu dramatisieren. Die Rekonstruktion des Handlungsortes ist sinnvoll und mit marginalen Anpassungen im Libretto problemlos machbar. Dem Regisseur David Pountney war Santis Wunsch willkommen, war doch der historische Gustav III. nicht nur ein aufgeklärter Reformer, der einem Komplott des Adels zum Opfer fiel, sondern auch ein theatersüchtiger Monarch. Die Theaterbesessenheit hat es Pountney angetan; so lässt er seinen Gustavo noch vor den ersten Pizzicati der Ouvertüre spitzbübisch vor den Vorhang treten, um dem Dirigenten das Zeichen zum Beginn zu geben. Geht der Vorhang dann während der Ouvertüre auf, schwebt eine riesige Hand vom Theaterhimmel, bewegt sich und lässt den am Boden liegenden Oscar an Seilen entschweben: Aha, Theater im Theater, die Figuren sind Marionetten, der König persönlich ist der Regisseur.
Düster, oft auch beengend ist die Bühne von Raimund Bauer, die beweglich gehandhabt werden kann. Nur zu Beginn des dritten Aktes, in der sadomasochistisch gewürzten «Bestrafungs»-Szene mit Amelia, ist sie in grellem Weiss. Der Thron ist ein überdimensionierter Theaterstuhl, auf dem Gustavo selber wie eine Puppe wirkt. Und er hält eine Königs-Handpuppe in der Hand: Theater im Theater im Theater . . . Üppig sind auch die vielfältigen Kostüme von Marie-Jeanne Lecca, angesiedelt zwischen ausgehendem 18. Jahrhundert, Fantasy, Fin de Siècle und den zwanziger Jahren. Da wurde nicht gespart, um optisch die Theater-Wirkung zu unterstreichen.
Starre Marionettenfiguren
Im ersten Akt erfreut man sich an der Opulenz und der Vorstellungskraft, mit welcher Pountney das Spiel sich entfalten lässt – und wundert sich nur ein wenig über die marionettenhaft starre Zeichnung der Figuren. Oder darüber, wie befremdlich er gerade eine Ur-Frauenfigur wie die Wahrsagerin Ulrica durch den Kakao zieht; die Musik erzählt etwas anderes. Im zweiten Akt wächst das Staunen darüber, wie wenig dem phantasiebegabten Routinier Pountney zum Thema Personenführung eingefallen ist.
Spätestens im dritten Akt beginnt einen das scheinbare Puppentheater aber auch zu ärgern. Zu undifferenziert ist das theatralische Verhalten der Figuren auf der Bühne, ganz im Gegensatz zu dem, was man hört. Massig wird das Geschehen mit Stilisierungen, Künsteleien, bedeutungsvollen Zeichen und Gebärden aufgeladen. Gewiss, auch Verdi trägt dick auf und extremisiert seine Figuren. Pountney treibt das Überzeichnen indes um ein Vielfaches weiter und hat sich gewiss sehr viel gedacht dabei. Bald fühlt man sich jedoch an einen Inszenierungsstil von vor vierzig Jahren erinnert. Ja, letztlich wirkt diese Inszenierung reichlich altmodisch. Ihre Irritationen verpuffen, statt dass sie einen erhellenden neuen Blick auf das Werk ermöglichen – auch am Schluss, wo bei Pountney Gustavo sozusagen der einzige Überlebende ist.