Komödiantischer Totentanz

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (27.04.2011)

Un Ballo in Maschera, 25.04.2011, Zürich

Mit «Un ballo in maschera» gelingt am Opernhaus Zürich ein Verdi-Stück auf ganzer Linie.

Alles nur ein Spiel, wenn auch ein tödliches: Der Bregenzer Noch-Festspielintendant David Pountney bricht im Opernhaus Zürich die Handlung von Giuseppe Verdis «Un ballo in maschera» und kehrt das Ende um: Das Anschlagsopfer, der schwedische König Gustav III., überlebt, alle andern sind tot.

Die Bilder von Regisseur Pountney und seinen Ausstattern Reimund Bauer und Marie-Jeanne Leca sind wie gewohnt gross: Eine Riesenhand zieht zur Ouverture ein Menschlein in den Bühnenhimmel, das Medusenhaupt der Wahrsagerin Ulrica wird mit einem Kran bewegt und zum Liebesduett baumelt malerisch ein gutes Dutzend Leichen im Hintergrund. Die Ausstattung schafft einen überzeugenden Rahmen dafür, wie Pountney die Geschichte als Traum eines Knaben oder als Theater im Theater erzählt.

Protagonist als Autor

Pountneys Gustav (man verwendet die von der Zensur verbotene Fassung mit den historisch verbürgten schwedischen Namen) erfindet und inszeniert ein Stück, in dem er selber die Hauptrolle spielt. Ein Genius und eine ziemlich zwielichtige Nanny – Page Oscar und Wahrsagerin Ulrica bei Verdi – betreuen ihn dabei. Sen Guo und die St. Gallerin Yvonne Naef, schon sängerisch von grosser Klasse, nutzen die Chancen, die ihnen die szenische Aufwertung ihrer Rollen bietet, bestechend aus. Weil Gustav sein Ende kennt, wird das Spiel zu einem immer absurderen Totentanz britisch-schwarzhumorigen Zuschnitts. Weil wohl das Stück zu Ende ist, aber nicht sein Autor, überlebt er als einziger seinen eigenen Tod.

Die Tragödie als Komödie

Dieses Konzept, es könnte fast von Pirandello sein, geht auf, weil es die Struktur von Verdis Musik szenisch übersetzt und dessen Kontraste von hell-dunkel, von tragisch und komisch aufnimmt, wie sie am Schluss des zweiten Aktes am klarsten sich gegenüberstehen: Die Mörder erkennen, dass sie nicht den König, sondern seinen besten Freund Renato erwischt haben – und dass der scheinbar eben unerkannt seine eigene Frau verführt: «La tragedia mutò in commedia», die Tragödie verwandelt sich in eine Komödie, wenn auch nur scheinbar.

Das Konzept geht aber auch auf, weil es für die Besetzung gemacht scheint. Vladimir Stoyanov als Renato und Fiorenza Cedolins als Amalie, dessen Frau und Geliebte Gustavs, bleiben sängerisch wie darstellerisch korrekte, aber ziemlich kühle Gestalten. Warum macht sich der König gerade an diese Frau? – Sie ist ihm eben nur eine Spielfigur.

Rhythmisch straffe Hand

Von Nello Santi, der vom Zürcher Publikum bei jedem Auftritt mit Sonderapplaus bedacht wird und der bei der Premiere am falschen Ort einsetzendes Klatschen mit scharfem Blick (und dann gnädiger Erlaubnis) ins Publikum unterbindet, bekommt das Ensemble beste Unterstützung: Eine rhythmisch straffe Hand einerseits, aber auch genügend Freiheit sowie viele Zeichen an Chor und Orchester, leise zu sein.

Wie die Inszenierung, so rückt auch die musikalische Seite dieser Produktion Gustav ins Zentrum. Besser als Piotr Beczala singt zurzeit wohl niemand diese Rolle. Beczala vereinigt Eleganz, honigsüsse Linien und perfekte Phrasierung, gibt seiner Figur eine auch vokal bestechende Ambivalenz von Melancholie und Lockerheit – eine stimmige Figur.