Silberne Peitschen und goldene Noten

N. N., Mittelland-Zeitung (27.04.2011)

Un Ballo in Maschera, 25.04.2011, Zürich

Tenor Piotr Beczala triumphiert in Verdis «Un ballo in maschera» am Opernhaus Zürich

Triumph für Alexander Pereira! Der 20:10-Favorit Amico Fritz hat auf der Galopprennbahn in Köln an Ostern die mit 55 000 Euro dotierte «Silberne Peitsche» über 1300 Meter gewonnen. Der Hengst des Zürcher Opernhausintendanten war seinem grössten Konkurrenten Walero eine Nasenlänge voraus.

In Pereiras zweitem Rennstall, dem Opernhaus Zürich, gabs am Montag zwar hohe Startgagen, aber anstatt Preise bloss die Gunst des Publikums zu gewinnen. Die Anspannung war dennoch spürbar. Kein Wunder: Das Teilnehmerfeld war weltklasse und mit Giuseppe Verdis «Un ballo in maschera» stand ein Klassiker auf dem Programm. Oben- aus schwang der Tenor, abgeschlagen auf dem letzten Platz landete der Regisseur. Doch der Reihe nach.

Weltklasse-Tenor

Der 45-jährige polnische Tenor Piotr Beczala, dem Pereira früh vertraute, zeigte als Gustavo, wo der Unterschied zwischen gut und grossartig liegt. Die Klugheit in der Ausgestaltung seiner drei Arien war hinreissend: nicht ein billiger Effekt, der eine Schwäche übertünchen würde, kaum eine Unsicherheit, weil zu viel riskiert wurde.

Beczala ist ein Richtigmacher, gewiss, aber einer, der sich keine Abstriche erlaubt, der dem Notentext bedingungslos folgt. Hierin ist er – warum nicht einmal etwas euphorisch werden? – mit Carlo Bergonzi (1924) zu vergleichen; Beczalas verlockende Süsse in jedem Ton aber erinnert zudem an Fritz Wunderlichs (1930–1966) Zauberstimme. Ein Glück, dass sein Timbre voller verzuckerter Schönheit bei grosser Lautstärke nur wenig an Reiz verliert. Mit Leichtigkeit lässt er sich vom Fortissimo ins liebliche Piano zurückfallen, liebkost dann die Silben und Worte, als gehörten sie alle ihm selbst. Das Unheimliche: Je länger der Abend wurde, umso gelöster und leidenschaftlicher sang Beczala.

Da konnte selbst Geheimfavorit Vladimir Stoyanov (Renato) nicht mithalten, obwohl er genauso exakt und kultiviert sang. Doch ihm fehlen (noch) die Herzenstöne, dank derer die zwei Arien des Renato zu Tränen rühren. Fiorenza Cedolins, hoch gehandelte Sopranistin, gab ihr Rollendebüt als Amelia. Die Unsicherheit war spürbar: Erst machte sie auf grosse Heroin, verdunkelte schnaubend jede Silbe; wollte mehr zeigen, als da war. Ab der zweiten Arie holte sie mächtig auf, nun klang alles viel entspannter und natürlicher. Yvonne Naef sang die Ulrica mit mächtiger Stimme, zeigte aber, dass man die Partie der Wahrsagerin auch durchaus fein gestalten kann.

Gustavo, Renato, Amelia, Ulrica? Es sind die vier Protagonisten in Verdis «Maskenball» – einer tollen Geschichte! König Gustav liebt Amelia, die Frau seines besten Freundes Renato. Um sich an ihm zu rächen, tritt der nur vermeintlich Gehörnte einem Kreis von Verschwörern bei, und erschiesst den Herrscher an einem Maskenball. Die Wahrsagerin Ulrica zieht im Hintergrund heimlich die Fäden.

Kein Vertrauen in den Plot

Regisseur David Pountney hingegen lässt den König die Fäden ziehen – zeigt von bühnentechnischem Zauber unterstützt (Bühne: Raimund Bauer) ein Theater im Theater. Da der tatsächlich lebende König Gustav ein Theaternarr war und sich immer wieder mal auf der Bühne zeigte, lag diese Idee für ihn auf der Hand.

Erstaunlich, dass Pountney diesem zugespitzten, aber stringenten Stück nicht mehr vertraut. Er schiebt seine Vorbehalte allerdings aufs Publikum ab, das nicht mehr an die Figur der Wahrsagerin glaube. Und er zweifelt selbst an der Musik: Die Verschwörerszene zu Beginn klinge nach «Tom&Jerry» – sozusagen nach Kasperle-Theater. Nun ist es aber leider der Regisseur, der aus dem perfekten Plot ein Kasperle-Theater macht, uns den Glauben an die Handlung nimmt. Und somit der Oper ihre Geschichte beraubt. Es bleibt die Musik.

Zusammengehalten wird sie von Nello Santi. Der 80-jährige Dirigent kennt seinen Verdi bestens, das Orchester weiss das zu schätzen. Er pflegt zwar ein traditionelles Verdi-Bild, aber eines, das die Musik glühen lässt. Ist mal ein Sänger etwas gar geradlinig (wie etwa Sen Guo als Page), da blitzt und funkelt es im Orchester prächtig. Und wirds mal überschäumend, gar zu grell oder zu laut, ists meist bloss für einen kurzen Effekt. So sehr er auch vom Publikum angefeuert wurde, für den Sieg reicht es Santi nicht. Die «silberne Peitsche», pardon, die «goldene Note» geht an Tenor Piotr Beczala.