Ein Maskenball: Der König, der ein Puppenspieler war

Heinz W. Koch, Badische Zeitung (27.04.2011)

Un Ballo in Maschera, 25.04.2011, Zürich

Theater auf dem Theater: David Pountney inszeniert, Nello Santi dirigiert Verdis Oper "Ein Maskenball" in Zürich.

Nicht mehr das Weiße Haus zu Washington, in dem Giuseppe Verdis Graf Riccardo zum singenden Präsidenten wurde. Jürgen Flimm hatte sich diesen Coup 1999 für seine Zürcher Herrichtung der Oper "Ein Maskenball" ausgedacht. Jetzt, in David Pountneys neuer Inszenierung am selben Ort, ist der Regent weder US-Präsident noch Gouverneur von Boston, sondern König – Gustav III. von Schweden, bei Verdi natürlich Gustavo. Dort sollte sich "Un ballo in maschera" eigentlich von vornherein ereignen. Die Zensur hatte in den späten 1850er-Jahren freilich etwas dagegen – Königsmord, das mochte man gar nicht!

Mit einem Coup wartet Pountney in seiner 14. Zürcher Regiearbeit allerdings auch auf. Bei ihm inszeniert der König die Tragödie gleich selber – Theater auf dem Theater. Und: Hatte nicht das Leben für Gustav schon viel von einem Spiel? War er nicht theaterbegeistert, agierte er nicht selbst gern auf der Bühne, führte er nicht ebenso gern Regie? Und schließlich: Fiel er nicht 1792 in Stockholm auf einem Ball im Opernhaus einem Attentat zum Opfer? Bei Verdi ist Gustavos bester Freund und engster Vertrauter Renato Anckarstroem sein Mörder. Er fühlt sich vom König mit seiner eigenen Frau Amelia hintergangen.

Der König also als Strippenzieher und er selber in der Hauptrolle. Er gibt dem Dirigenten das Zeichen zum Beginn, und er bedient die Vorhänge mit ihrem schweren Faltenwurf (Bühne: Raimund Bauer). Er erscheint im Rechteck der Kasperlebühne im Hintergrund, und er hat Umgang mit Handpuppen. Am Ende trägt er sich quasi selber als Puppe auf dem Arm und – überlebt als einziger. Mit dem Pagen Oscar, seinem geflügelten Begleiter (Todesengel!), hockt er auf einem gigantischen Theaterthron. Beinahe ständig um ihn herum ist auch die Wahrsagerin Ulrica in ihrem abenteuerlichen Fummel (Kostüme: Marie-Jeanne Lecca). Sie war offenbar schon sein Kindermädchen. Und vielleicht ging sie auch schon dem kindlichen Puppenspieler zur Hand.

Das ergibt eine unausgesetzte, kunterbunte Maskerade, und wenn der verkleidete Hofstaat sich zu Ulricas Etablissement aufmacht, tut er’s als urkölscher Elferrat. Der Abend hat einen hohen Unterhaltungswert. Es wimmelt von gescheiten Anmerkungen, von Spiel-Esprit. Man nehme nur den titelspendenden Ball: ein rituell anmutender Schreittanz der (aufgemalten) Skelette – wahrlich, ein Totentanz (Choreographie: Beate Vollack). Und doch: Am zwingendsten ist die Aufführung, wenn Pountney sein eigenes Gedankengut zu vergessen scheint, wenn das Werk gleichsam eins zu eins umgesetzt wird – als sei ihm das alles auf halber Strecke selbst zu kompliziert geworden. Das macht: Die szenischen Geistreicheleien entziehen der Tragödie den Boden. Die Idee mag bestechend sein, und viele Momente sind es auch – insgesamt aber geht die Umwidmung nicht auf, gibt das Drama Pountneys Variation nicht her.

Bei den Sängern ist es lange, als powerten sie allzu sehr. Da gewinnt die Amelia-Debütantin Fiorenza Cedolins erst das ihr eigene Format, wenn sie sich darauf besinnt, wie oft der Komponist es piano haben will, lässt auch Yvonne Naefs Ulrica ihren nun wahrlich üppigen Mezzosopran zunächst zu gewaltsam aus dem Ruder laufen. Auch Vladimir Stoyanovs zum Schleppen neigender Renato läuft erst zur gewohnten Form auf, wenn er die mittleren Stärkegrade ins Auge fasst. Sen Guos silberstimmiger Oscar: koloraturgewandt und auch in den Quintett-Bögen selbstbewusst. Und Piotr Beczala, dessen Weltkarriere ja in Zürich begann, zeigt als Gustavo, wo’s im Verdi’schen Sinne den ganzen Abend über hätte langgehen müssen: Tenorgesang, strahlend bis hoch oben, aber nie auftrumpfend, dazu immer wieder in die mezzavoce-Verhaltenheit zurückgenommen – eine ganz außerordentliche Leistung, auf die sich die Ovationen zu Recht konzentrierten.

Demnächst 80 und seit sage und schreibe 53 Jahren am Hause: Nello Santi ist nach wie vor ein Garant für eine straffe, rhythmisch gefestigte Verdi-Interpretation und kennerische Phrasierungs-Rückungen. Die Szenenschlüsse geraten unterdessen etwas stumpfer, die infernalischen Orchestereinschläge vor Ulricas Auftritt weniger scharf als früher. Altersmilde?