Mord im Ballsaal

Manuel Brug, Die Welt (12.05.2006)

Don Giovanni, 07.05.2006, Zürich

Simon Keenlyside glänzt im Zürcher Da-Ponte-Zyklus als Don Giovanni

Schlechte Zeiten für Opern-Verführer. Zwar lädt Don Giovanni dank des Mozart-Jahrs noch häufiger als sonst in seiner 219jährigen Bühnenkarriere den Steinernen Gast zum leider letzten Liebesmahl. Doch kaum noch darf er das als viriler Bariton-Macho tun. Der Mythos ist längst irdisch geworden: als Nadelstreifen-Manager, Vorstadt-Casanova, als kleiner Fiesling und fades Würstchen. Als einer, der mit seinem unmoralischen Anspruch stört in einer Gesellschaft, die es sich bequem auch zwischen amourösen Normen eingerichtet hat.

In Zürich jedoch, wo das bewährte Tandem Franz Welser-Möst (in seiner 60. Premiere!) und Sven-Eric Bechtolf eben beginnen, den noch nicht zehn Jahre alten Da-Ponte-Zyklus von Harnoncourt/Flimm zu ersetzen, darf Giovanni ein Luxusgeschöpft sein. Einer, der sich in einem als golden barocke Kulissenbühne gestaffelten Art-Deco-Ballsaal den Ennui von der Dandy-Seele tanzt. Simon Keenlyside singt und spielt den Don wie eine Lebensrolle. Trotz Terfel, Hampson, Gilfrey, Skovhus - er dürfte die augenblicklich glaubwürdigste Verkörperung des männlichen Eros light sein. Wunderbar weich, doch auch markant vokal dahinfließend, mokant mit den Worten spielend. Ein ewiger Jüngling im athletisch geformten Man's Health-Body, verschmitzt, mit einem Anflug von Zynismus und Horror Vacui. Einer, der mit Opfern generös spielt, dann eiskalt zuschlägt: European Psycho. Schön, daß dieser sich oft dem Betrieb verweigernde Sänger nun einen CD-Vertrag mit Sony hat.

Simon Keenlyside ist das unbestrittene Zentrum dieser raffinierten wie glamourösen Inszenierung. Sven-Eric Bechtolf, der seinen Spielern viel Freiheit läßt, verortet sie in Rolf Glittenbergs am Anfang und Ende als sich ewig widerspiegelnde Partyröhre. Figuranten sind im ewigen Tanz erstarrt oder posieren leer, das ewige Fest als Schaufenster-Ausstellung.

Darin fügen sich zwanglos die anderen Charaktere, von Franz Welser-Möst und dem anfänglich noch etwas unsauberen Zürcher Opernorchester mit ausgewogen balancierten Tempi und hellstrahlendem Klang sich fast zu ostentativ von der kantigen Harnoncourt-Dramaturgie absetzend. Anton Scharinger ist ein wendiger Leporello, Alfred Muff ein solider Komtur. Piotr Beczalas Ottavio ist nicht nur vokal zupackender als üblich, Reinhard Mayrs Masetto gibt sich gepflegt aufmüpfig.

Giovannis wahre Gegner sind die Frauen: Eva Mei als zitronige Anna in Verführerischrot, später trägt sie nostalgisch Giovannis Abendjacke. Malin Hartelius als angenehm unhysterische Elvira versucht eine noch ausbaufähige, doch lyrisch koloraturgewandte Facherweiterung. Souverän Martina Janková als Zerlina-Girlie.

Zum Ende hin mißtraut Bechtolf freilich seinem undogmatisch überzeitlichen Ansatz, mag Metaphysik nicht: Giovanni muß am Tresen sterben, niedergestreckt von einem afrikanischen Fetisch, den die schwarze Geliebte des Komturs aufgebaut hat.