Bildverbot und Bilderbuch

Herbert Büttiker, Der Landbote (17.05.2011)

Moses und Aron, 15.05.2011, Zürich

Arnold Schönbergs gedankenscharfe Oper ist wieder an den Ort ihrer Uraufführung zurückgekehrt – das Opernhaus zeigt «Moses und Aron» in Achim Freyers buntem Bildertreiben und unter der konturklaren Leitung von Christoph von Dohnányi.

Seit sich das Opernhaus Zürich 1957 mit der postumen Uraufführung der Fragment gebliebenen Oper – komponiert liegen nur zwei der drei Akte vor – in die Musikgeschichte einschrieb, hat «Moses und Aron» Karriere gemacht als Opus magnum Arnold Schönbergs und als Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts. Aufführungen sind dennoch selten, denn gefordert ist ein nicht nur grosser, sondern besonderen Schwierigkeiten gewachsener Opernapparat.

Die Zwölftonoper ist auch kein Kassenschlager. Allerdings macht das Opernhaus-Orchester zusammen mit einem hauseigenen Solistenensemble, dem musikalisch ungemein griffigen Slowakischen Philharmonischen Chor Bratislava und den beiden Protagonisten Peter Weber (Moses) und Daniel Brenna (Aron) wieder deutlich, dass der konstruktive Hintergrund der Oper nicht zu kümmern braucht: Was ist schon die Reihen-Logik angesichts der unmittelbar wirkenden Psychologik dieser Musik! Schönberg selber dürfte sein System so verinnerlicht haben, dass er sich ganz auf die expressive Kraft seiner Klänge, auf die musikalischen Linien und die dramatische Rezitation konzentrieren konnte.

Georg Solti empfahl seinem Orchester jeweils, das Werk zu spielen, als sei es von Brahms. Oder von Bach, was die Polyfonie betrifft, möchte man ergänzen, von Verdi, Wagner, Debussy, was die schlagkräftige Rhythmik betrifft. Eingängig, konturenscharf und klanglich durchsichtig präsentiert sich die Musik jetzt unter Dohnányis Leitung, unforciert, aber doch prägnant in den dynamischen Kontrasten.

Gedanken und Menschen

In «Moses und Aron» gehe es «um die Frage der angemessenen Vermittlung des monotheistischen Gottesgedankens», heisst es durchaus richtig im Magazin des Opernhauses. Was aber wie der Titel einer Dissertation klingt, ist auf der Bühne eine dramatische Auseinandersetzung, die in heftigsten Emotionen geführt wird. Die Gedankenträger werden Menschen aus Fleisch und Blut, aus dem Chor wird das Volk, dessen Geschichte gegenwärtig wird, wie sie Schönberg in seinem von ihm selber verfassten Text aus der Bibel aufgreift.

Die Oper beginnt mit der Stimme aus dem brennenden Dornbusch. Um die Begegnung von Moses und Aron, ihre Wirkung auf das Volk, die Wunder, die es von der Macht des unsichtbaren Gottes überzeugen, und den Auszug aus der Wüste geht es im ersten Akt, der Tanz um das Goldene Kalb und Moses’ Zertrümmern der Gesetzestafeln ergibt das grosse Tableau des zweiten. Die Verzweiflung darob, dass ihm die Vermittlung seines Gottesgedankens nicht gelingen kann – «O Wort, du Wort, das mir fehlt» –, schliesst den zweiten Akt und in dieser Offenheit und Aporie wohl notwendigerweise auch die Oper.

In der Opernlogik ist das Soziale, also die Rede, Gesang. Moses, der sich nicht mitteilen kann, ist deshalb eine Sprechpartie, deren musiknaher Duktus allerdings in der Partitur notiert ist. Der Bariton Peter Weber gestaltet sie mit Intensität und Pathos für die Aura des Ausgesonderten. Aron, der Mann der Gesellschaft, erhält mit Daniel Brenna die durchdringende tenorale Statur mit nur wenigen Einbrüchen. Aber bei beiden stellt sich in dieser Inszenierung die Frage der Wirkung im szenischen Zusammenhang. Sowohl Moses, der grosse einsame Gottesmann, wie die herausragende Führerfigur im clownesken Kostüm haben hier ihre Doubles. Sie agieren synchron und spiegelbildlich, und das macht die Protagonisten zu Schemen und verkleinert sie zu Bilderbuchfigurinen.

Alles Maske und Kostüm

Überhaupt erstickt Achim Freyers Inszenierung die existenzielle Dringlichkeit der Akteure und die Brisanz des Geschehens in der Maskerade – und indem der Chor, szenisch die zentrale Energie der Oper, unter die Bühne verbannt, nur akustisch präsent ist, spart sie sich die Hauptaufgabe. Was Freyer dafür an Bildfantasie auf der Bühne entwickelt und dank kaleidoskopartiger Spiegeleffekte wirklich auch ingeniös ins grosse Format bringt, bewahrt zwar chiffriert den Bezug zum dramatischen Geschehen, bleibt aber in aller Buntheit in der Wirkung blass – die Muppetshow der Götter ebenso wie die «Orgie», vor der hier kein Kinderauge sich schliessen muss.

Weit öffnen dürfte es sich im Gegenteil beim Anblick des Goldenen Kalbs. Für die Verbindung aus Religion und Kommerz oder einfach als niedlicher Gag steht hier der bekannte Goldosterhase aus dem Hause Lindt. Und auch wenn der über die Bühne spazierende Hund mit Offiziersmütze vielleicht als Hitler-Karikatur zu verstehen ist: Solche Einfälle mögen für die kleine Satire taugen. Schönbergs kolossales Menschheitsdrama – man mag es bewundernd oder auch kritisch sehen – ist ein anderes Kaliber, und man muss nicht ein Schön- berg-Jünger sein, um zu bedauern, dass diese Oper über die Möglichkeit und die Grenzen von Bild, Sprache und Kunst hier an reichlich brave Bildfantasien zwischen Hieronymus Bosch, Zirkuswelt und Disneyland verschenkt worden ist.