Tanz um den goldenen Schokoladehasen

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (17.05.2011)

Moses und Aron, 15.05.2011, Zürich

Das Opernhaus Zürich setzt mit einer Neuinszenierung von Schönbergs „Moses und Aron“ die Reihe der Neueinstudierungen von hier erstaufgeführten Werken des 20. Jahrhunderts fort. Die szenische Uraufführung fand 1957 im damaligen Stadttheater (heute das Opernhaus) statt.

Von 1928 bis zu seinem Tod in Los Angeles beschäftigte sich Arnold Schönberg immer wieder mit seinem letztlich Fragment gebliebenen „Moses und Aron“. Er wandte sich damit nicht zuletzt aufgrund der politischen Entwicklung in Deutschland vertieft den Fragen des Judentums und der Bedeutung der Religion zu. Die Komposition der ersten zwei Akte schloss er 1932 ab, vom dritten Akt liegen nur einige Skizzen vor.

Das von ihm selbst verfasste Libretto fußt auf Ausschnitten aus dem Zweiten Buch Moses: Aus dem brennenden Dornbusch erfährt Moses seine Berufung durch Gott, die Hebräer aus der ägyptischen Knechtschaft in die Freiheit zu führen und von der Allmacht Gottes zu überzeugen. Sein eloquenter Bruder Aron soll ihm dabei helfend zur Seite stehen. Trotzdem scheitert Moses an dem zweiten Auftrag. Zu unterschiedlich sind die Auffassungen der beiden Brüder von Gott. Moses propagiert die These vom unsichtbaren Gott, Aron gesteht den Hebräern auch ihre Götzenbilder zu. Das Volk schreit nach Zeichen und Bildern, welche die Macht und Kraft des unsichtbaren Gottes illustrieren und dem es Opfer bringen kann. Damit bringt es den Konflikt zwischen den Brüdern zum Ausbruch.

Schönbergs Bekenntniswerk stellt auch über fünfzig Jahre nach der Uraufführung eine Herausforderung dar. Umso dankbarer muss man sein, dass sich das Opernhaus Zürich ihr gestellt hat. Lang anhaltender, intensiver Applaus am Premiererabend war der Dank nach einer rund 100-minütigen Aufführung der beiden vertonten Akte.

Die Aufführung ist in erster Linie ein musikalischer Erfolg, der Christoph von Dohnányi geschuldet ist. Er hat sich in seiner langen Karriere immer wieder mit Schönbergs Hauptwerk beschäftigt und mit seinen Interpretationen Maßstäbe gesetzt. Von Dohnányi leuchtet die expressive Partitur in den über weite Strecken kammermusikalischen Passagen – vor allem im ersten Akt – bis in feinste Verästelungen aus und lässt die Farben aufleuchten. Durchsichtiger könnte der Klang nicht sein. Auf dem Höhepunkt dann, beim Tanz um das Goldene Kalb, verweben sich Spannung und Ekstase im Graben mit den von Achim Freyer geschaffenen fantastischen Bildern auf der Bühne zu einem rauschenden Gesamtkunstwerk. Dohnányis lange Werkerfahrung führt in Zürich zu einem orchestralen Bekenntnis für Schönbergs viel zu selten aufgeführte Oper.

Moses sprachliche Ohnmacht drückt sich dadurch aus, dass Schönberg ihm fast ausschliesslich Sprechgesang auf konkreten Tonhöhen notiert verordnet hat, während Bruder Aron das singende Sprachrohr darstellt. Die Partie liegt allerdings fast unsingbar hoch. Der Amerikaner Daniel Brenna bewältigt die Anforderungen bei seinem Rollendebüt mehr als achtbar, punktet in den verführerischen Kantilenen vor dem Volk, vor allem aber mit Textverständlichkeit.

Ein Rollendebüt war der Premierenabend auch für Peter Weber, der als Moses seine hohe deklamatorische Differenzierungs- und Artikulationsfähigkeit beweist. Eine von Freyer als grauhaariger, ungepflegter Alter zwischen ansonsten überzeichneten, auf sich bezogenen Figuren charakterisierte Persönlichkeit, die wegen ihrer Außenseiterrolle mit ihrer Mission scheitern muss.

Als dritten Protagonisten hat man den Slowakischen Philharmonischen Chor Bratislava eingeladen, dem man die Erfahrung aus der letzten Wiener Staatsopernproduktion anmerkt (Einstudierung: Jozef Chabron, Thomas Lang). Schade ist allerdings, der Regisseur den Chor von der Bühne verbannt hat, auf der sich stattdessen allerhand Fantasiegestalten aus der Tier- und Menschenwelt (ein Lob an die Mitglieder des Statistenvereins) sowie ein echtes Hündchen tummeln und die Frage der Bilderlosigkeit szenisch umsetzen.

Freyer beschäftigt sich zum zweiten Mal in seiner Karriere mit „Moses und Aron“. Ihm geht es weniger um die religiöse Frage. Spätestens mit dem orgiastischen Tanz um das Goldene Kalb wird der aktuelle Bezug deutlich: Getanzt wird um den Lindt & Sprüngli-Goldhasen als Zeichen einer von einem exzessiven Materialismus geprägten, ausschweifenden, sexistischen Gesellschaft. Fast märchenhaft wirken die Tierfiguren vom Frosch bis zum Eisbär, die vollgefressenen, leicht bekleideten Hebräer, der als Tod gezeichnete, mechanisch vor- und zurücklaufende Priester (Valeryi Murga).

Einiges mag an andere Freyer-Inszenierungen erinnern, nicht jedes Bild lässt sich dechiffrieren. Entscheidend ist die überzeugende szenische Gesamtwirkung in Union mit der Musik.