Wolfgang Huber-Lang, Mozart heute (08.05.2006)
Zu einem nahezu uneingeschränkten musikalischen Fest wurde gestern, Sonntag, Abend die von Franz Welser-Möst dirigierte Premiere von Mozarts "Don Giovanni" im Opernhaus Zürich. In einem von goldenen Portalen eingefassten Ballsaal entfaltete die Oper all ihre Dramatik. Im Zentrum stand ein Don Giovanni mit James Bond-Appeal. Simon Keenlyside bekam jedoch von Regisseur Sven-Eric Bechtolf einen veritablen Gegenspieler verpasst: Piotr Beczala sang sich als Don Ottavio mit glühenden Treueschwüren und strahlender Tenorstimme in die Herzen der Damen.
Fast möchte man glauben, Don Ottavio sei der eigentliche Frauenheld. Beczala, vor vielen Jahren Ensemblemitglied in Linz, hat eine der schönsten und tragendsten Stimmen dieses Abends. Sein betörender Lobgesang auf Beständigkeit klingt der Weiblichkeit wie ein Lockruf. Bechtolf lässt davon die Schar der Tänzerinnen, die er in dem mittels Videoprojektion manchmal ins Unendliche nach hinten verlängerten, manchmal mit Sitz- und Liegemöbel oder einer mobilen Stehbar eingerichteten Saal (Bühne: Rolf Glittenberg) in vielen stummen Szenen Geschlechterkampf und Paartanz ausführen, magisch angezogen werden und dahinschmelzen, bis sie Ottavio wie eine Trophäe auf Händen von der Bühne tragen. Einzige Handicaps dabei sind die grässliche, helmartige graue Perücke, die Beczala zu tragen hat, und eine mimische und darstellerische Statik, die den Sänger, der im kommenden Festspielsommer auch in der Kusej-Inszenierung des "Don Giovanni" als Widerpart von Thomas Hampson zu sehen sein wird, gegen seinen Kontrahenten den Kürzeren ziehen lässt.
Denn Keenlyside ist nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch hoch präsent. Zu Beginn zeigt er sich bei der misslungenen Verführung von Donna Anna mit nacktem Oberkörper als beeindruckend durchtrainiert, seine ganze Rollenanlage ist die eines Gentleman-Schurkens mit Augenzwinkern, eines Geheimagenten im Dienste der Libido, der viel lacht und Kampfgetümmel, in denen noch so viele Springmesser aufblitzen, gewöhnlich unverletzt und mit einer zynischen Bemerkung zu verlassen pflegt. Anton Scharinger, der seinen Leporello ebenfalls tadellos singt, verbleibt dabei in traditionellerer Figurenzeichnung, Alfred Muff als Komtur beeindruckt mehr als Toter denn als Lebender, nur Reinhard Mayr als Masetto kann da nicht ganz mithalten und bleibt blass.
Unter den Damen sticht Martina Janková als Zerlina heraus, die nicht nur eine überzeugende schauspielerische Leistung im Zwiespalt zwischen den verschiedenen von den Männern gebotenen Zukunftsversprechen, sondern auch eine über eine geschmeidige und dennoch klar geführte Stimme verfügt, die mal nach reinem Herzen, ein anderes Mal nach purem Sex klingt. Ihre Arien und Duette zählten zu den akklamierten Höhepunkten der Premiere. Die Donna Elvira hat es als Spielverderberin immer etwas schwerer, und Rollendebütantin Malin Hartelius schlug sich achtbar, ohne zu tragischer Größe zu finden. Und Donna Anna? Eva Mei sang sie innig, um Gestaltung bemüht, aber sehr konventionell. In Bechtolfs Inszenierung, die wendig immer wieder nach überraschenden Bildern sucht, um die tausendfach gesehene Geschichte spannend zu erzählen (was ihm mal mehr, mal weniger schlüssig gelingt, aber keineswegs die paar Buhs verdient hat, die sich beim Regisseur unter den finalen Jubel mischten), hat sie es schwer.
Das alles wären aber vergebliche Mühen gewesen, wären nicht das Orchester der Oper Zürich und Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst, der den Klangkörper - dem er bereits seit 1995/96 als Chefdirigent vorsteht - an diesem Abend zum 450. Mal leitete, in derart glänzender Form gewesen. Dem Dirigenten (der die Rezitative vom Hammerklavier begleiten lässt) und seinen Musikern merkt man ab der ersten Sekunde die Hauptsache an: Sie haben Spaß an ihrer Arbeit und an Mozarts Musik. Einen derart gelösten Dirigenten, der mit einem aufmunternden Lächeln den ersten Einsatz gibt, der sich mit Leichtigkeit und Raffinesse durch die Partitur bewegt und sie nicht bloß abarbeitet, der immer wieder auch über die Bühnen-Vorgänge schmunzeln kann, im nächsten Augenblick aber an Dynamik und Dramatik nichts zu wünschen übrig lässt, das hat man selten gesehen. Und vor allem: gehört. Man versteht, dass Alexander Pereira die Zürcher Bedingungen über den grünen Klee lobt. Und man beginnt sich auf den "Ring" zu freuen, den Bechtolf und Welser-Möst für die Wiener Staatsoper vorbereiten. Dann allerdings sitzt das Staatsopernorchester im Graben...