Tanz um den goldenen Osterhasen in Zürich

N. N., Badische Zeitung (18.05.2011)

Moses und Aron, 15.05.2011, Zürich

Erstmals seit der Uraufführung wieder auf der Bühne des Zürcher Opernhaus: Arnold Schönbergs Fragment gebliebene Oper "Moses und Aron". Wie meisterten Orchester und Ensemble die Anforderungen des sperrigen Werks?

Schon mal eine Zwölftonreihe in der Fußgängerzone gehört? Arnold Schönbergs Wunsch, dass seine Melodien eines Tages auf der Straße gepfiffen würden, hat sich bis heute offensichtlich noch nicht erfüllt. Aber der nicht enden wollende Applaus nach der Zürcher Premiere seiner Oper "Moses und Aron" zeigt, dass Schönbergs Musik nicht nur intellektuell anregen, sondern auch emotional bewegen kann. Das vorzügliche Zürcher Opernorchester unter der souveränen Leitung von Christoph von Dohnányi brachte jeden melodischen Partikel zum Klingen. Es ließ die Posaunen grunzen und die Hörner blöken beim orgiastischen Tanz um das Goldene Kalb im 2. Akt, ehe die gewaltigen Eruptionen aus dem Orchestergraben allmählich an Kraft verloren.

Hier am Zürcher Opernhaus wurde das Fragment gebliebene Werk 1957 mit großem Erfolg uraufgeführt – und seither nicht mehr gespielt. Auch anderswo ist Schönbergs letzte Oper rar. Zu groß sind die Anforderungen an Orchester und Chor, zu sperrig wirkt das ursprünglich als Oratorium konzipierte Werk. Auch das zentrale Thema, das Bilderverbot des jüdischen Volkes, ist nicht gerade einfach auf der Bühne umzusetzen. Dabei ist der im Alten Testament beschriebene Konflikt zwischen den Brüdern Moses und Aron zeitlos. Hier der reine Gedanke, dort das ausgesprochene Wort, hier der Idealismus, dort der Pragmatismus.

Moses soll sein Volk aus der ägyptischen Knechtschaft befreien. Und dabei auf die Hilfe seines Bruders Aron zurückgreifen, der rhetorisches Geschick besitzt. Wie vermittelt man seinem Volk den Glauben an einen unsichtbaren, unvorstellbaren Gott? Aron möchte diesen Gott mit Bildern beschreiben – und zieht dadurch den heiligen Zorn des kompromisslosen Bruders auf sich. Regisseur Achim Freyer, der wie stets auch für Bühne, Kostüme und die Lichtgestaltung verantwortlich ist, macht aus Moses einen langbärtigen, alten Mann, dessen archaisches Aussehen deutlich von Michelangelos bekannter Skulptur inspiriert ist. Aron dagegen wirkt mit seinem gestylten Haar, der weißen Brille und dem extravaganten Anzug wie eine Mischung aus Modezar und Zirkusdompteur. Daniel Brenna singt diese mörderische Partie mit nie nachlassender Tenorpower. Dieser Aron weiß zu verführen, wenn er in den höchsten Lagen den Glanz bewahrt und mit leuchtenden Farben von Gott erzählt. Nur im Piano und im Falsett wird die Stimme zu dünn. Peter Webers Moses spricht mit Donnerhall. Die von Schönberg mit Tonhöhen und genauem Rhythmus notierte Sprechrolle reichert der Sänger mit viel Emotion an. Warum die beiden Hauptfiguren immer wieder im Freeze verharren, bevor sie einen neuen Ausfallschritt tätigen, erschließt sich allerdings nicht. Auch die Doppelung des Moses (Utz Bodamer) und die Verdreifachung des Aron (Hans-Peter Ulli, Markus Hofmann) bleibt wie auch das übrige Personal rätselhaft. Ein Mann mit einem Karton auf dem Kopf (Peter Sonn) steht neben einem Pseudoengel (Esther Lee), eine Gestalt mit gleich zwei Totenköpfen (stark als Priester: Valeryi Murga) trifft auf einen General (Davide Fersini als Ephraimit). Das Goldene Kalb im zweiten Akt ist ein überdimensionaler Lindt-Schokohase, auch Huhn, Frosch, Bär und Dackel finden sich auf der Bühne ein. Dreimal läuft ein (echter) Hund mit Polizeimütze quer über die Bühne.

Das ist eine zu reiche Bilderflut in dieser um ein Bilderverbot kreisenden Oper. Das wirkt zu beliebig, um eine klare Interpretation erkennen zu lassen. Dabei ist Achim Freyer mit seiner Bühnenkonstruktion ein kleiner Geniestreich gelungen. Die nach hinten aufsteigende Spielfläche wird von einem Spiegelfirmament abgeschlossen. Es ist eine mit Steinen übersäte, karge Landschaft, in der diese um Gott kreisende Auseinandersetzung zwischen den Menschen spielt. Alles, was auf der Erde stattfindet, wird im Himmel gespiegelt. Die Perspektiven verschieben sich. Der Chor ist dabei weitgehend unsichtbar. Die vorzüglichen Sängerinnen und Sänger stehen unter der Bühne wie Gefangene. Ihre Köpfe tauchen in den Steinen auf. Der Raumklang, den Schönberg an vielen Stellen fordert, wird auf faszinierende Weise Wirklichkeit. Freyers Fantasie ist auch im 2. Akt unerschöpflich. Da führen spitzhaubige, an den Ku-Klux-Klan erinnernden Gestalten einen Messertanz auf, da schälen sich die vier Jungfrauen aus ihren fetten Stoffkörpern. Die apokalyptische Bilderfülle erinnert an Szenerien von Hieronymus Bosch. Der Regisseur hat aber keinen voyeuristischen Blick auf die Orgie – schon der sich drehende Osterhase durchsetzt die Szene mit Ironie. Und verweist vielleicht auf die Götzen von heute.