Gegen die Schokoladengötzen

Stephan Hoffmann, Die Welt (19.05.2011)

Moses und Aron, 15.05.2011, Zürich

Bilderflut und Sprachnot: Achim Freyer inszenierte in Zürich Schönbergs "Moses und Aron"-Oper

Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen." In Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aron" steht dieses göttliche Verbot im Zentrum. Der 77-jährige Achim Freyer, der die Oper jetzt in Zürich neu inszenierte, ging das Problem der Inszenierung offensiv an, indem er zunächst Bildervervielfachung übte. Moses und Aron, die Verkörperungen von Intellekt und Gefühl, werden nicht nur von Schauspielern gedoppelt und verdreifacht, die komplette Szene wird auch noch raffiniert gespiegelt.

Am wenigsten aber wird das Bilderverbot im zweiten Akt, beim Tanz ums Goldene Kalb befolgt. "Kannst du lieben, was du dir nicht vorstellen kannst?", fragt Aron seinen Bruder Moses, der ganz auf die Kraft des bloßen Gedankens und der Vorstellung vertraut. Das jüdische Volk jedenfalls kann es nicht, und während Moses abwesend ist, weil er von Gott die Gesetzestafeln in Empfang nimmt, schafft es sich seine eigenen, viel praktikableren Götter in Menschenformat. In Zürich ziehen diese "Götter alltagsnahen Inhalts" in einer bizarren Prozession vorüber: Götter mit Dackelkopf, als Frosch oder als Kaninchen verkleidet, Götter als Frosch und als Eisbär. Männer in Ku-Klux-Klan-artigen Spitzhüten gehen mit Schlachtermessern ihrem blutigen Handwerk nach; Herren mit rotem Riesen-Phallus tanzen mit weiblichen Leichen, und über allem thront das Goldene Kalb - in diesem Fall ist es der goldene Osterhase mit Glöckchen eines namhaften Schweizer Schokoladenherstellers. Es ist Sinnlichkeit pur, die Freyer auf die Bühne bringt; "Heilig ist die Zeugungskraft" rufen einige Unbekleidete. Der Zuschauer wird von dieser fantastischen Bilderflut jedenfalls bis an die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit gefordert.

Andererseits hütete sich Freyer vor einer unangemessenen Verulkung. Denn die Bilderflut ist nur der eine Aspekt. Daneben gibt es die Welt des Moses, der keine Sprache, sondern nur Gedanken hat (und der deshalb spricht anstatt zu singen). Diese Welt der Gedanken, des unendlichen Gottes, der eben gerade nicht menschenkompatibel ist, bleibt in Zürich, wo "Moses und Aron" 1957 die szenische Uraufführung erlebte, unbebildert - die Bühne ist schwarz. Normalerweise ist es ein Zeichen szenischer Hilflosigkeit, wenn Regisseure den Regieanweisungen aus dem Libretto folgen. In diesem Fall blieb Freyer kaum eine andere Wahl - die Nicht-Inszenierung ergab sich zwingend aus dem Konzept, das Bilderverbot zu bebildern.

Schönbergs Musik ist die reine Expression, und es gibt einige Chor-Passagen, die klingen wie ein fein gewebtes Gaze-Gespinst - Musik von wunderbarer Schönheit. Allerdings ist das auch Musik von exorbitanter Schwierigkeit, die Riesenpartie des (häufig in mehrere Gruppen geteilten) Chores zählt sicher zu den schwierigsten der gesamten Opern-Literatur. In Zürich sang der Schönberg-erfahrene Slowakische Philharmonische Chor, und er tat das mit wahrhaft Staunen erregender Perfektion.

Einen besseren Dirigenten hätte man wohl gar nicht finden können: Christoph von Dohnányi geht mit diesem Stück seit mehr als 40 Jahren (!) um, entsprechend souverän war sein Dirigat und entsprechend plastisch und transparent das klangliche Ergebnis - besser geht's kaum. Das fabelhafte Opernorchester Zürich lieferte ein Meisterstück ab. Peter Weber war der exzellente Moses, der amerikanische Tenor Daniel Brenna sang die mit Abstand wichtigste Partie dieser Oper, die des Aron, mit einer Selbstverständlichkeit, mit einem metallischen Kern in der Stimme und mit einer Süffigkeit, als handle es sich um ein Liebesduett von Puccini.