Elisabeth Schwind, Südkurier (17.05.2011)
Christoph von Dohnányi dirigiert Schönbergs „Moses und Aron“. Und Achim Freyer sorgt für visuellen Zauber
Schönberg selbst war sich nicht sicher, ob seine Oper „Moses und Aron“ überhaupt aufführbar wäre. Als er 1951 starb, hinterließ er nur zwei fertig komponierte Akte. Der dritte Akt blieb unvollendet. Das Fragment aber wurde 1957 szenisch uraufgeführt – und zwar am Opernhaus Zürich. Und hier findet nun nach 54 Jahren endlich eine erneute Auseinandersetzung mit dem gewiss komplexen, aber auch hochspannenden Stoff statt.
Was die rein technische Frage der Aufführbarkeit betrifft, so kann gleich Entwarnung gegeben werden: Mit Christoph von Dohnányi steht ein Altmeister am Pult des Zürcher Opernorchesters, der sich schon mehrfach mit Schönbergs Partitur auseinandergesetzt hat. Und er sorgt auch in Zürich dafür, dass diese Musik in all ihrer Wucht und Kantigkeit nicht nur eine korrekte Wiedergabe erhält, sondern das Publikum gebannt in die Sessel drückt. Zusammen mit dem hervorragenden Slowakischen Philharmonischen Chor Bratislava, der die Stimme des Volkes vertritt, entwickelt Dohnányi in dem kleinen Zürcher Haus ungeahnte Raumwirkungen.
Ein eigenwilliger Solitär auf der Opernbühne bleibt „Moses und Aron“ gleichwohl. Ein religiöses Bekenntniswerk, eine Handlung ohne operntypische Liebesgeschichte und statt dessen ein abstrakter theologischer Disput über das Gebot „Du sollst dir kein Bild machen“ – klar, dass es hier nicht einfach um eine angenehme Abendzerstreuung geht.
Die Figuren Moses und Aron repräsentieren den Konflikt zwischen dem abstrakten (Gottes-)Gedanken und dem menschlichen Bedürfnis, den Gedanken in ein greifbares Bild zu fassen. Moses (Peter Weber deklamiert den Part stimmgewaltig) steht dabei für die Reinheit des Gedankens. Er hält jedes Bild für eine Verfälschung. Aron hingegen (Daniel Brenna bewältigt diese schwierige Tenorpartie souverän) nimmt die Verfälschung in Kauf – um dem Volk den Gottesgedanken überhaupt irgendwie vermittelbar zu machen. Moses ist der Fundamentalist, Aron der „Realo“ – das Thema lässt sich leicht von der Theologie auf andere Lebensbereiche ausweiten. Auf Kunst und Gesellschaft, Politik und Moral. Und besonders Schönberg muss dieses menschliche Grundproblem interessiert haben – als künstlerischer Dogmatiker, als eine Art Moses der Zwölftonmusik, war er sich sehr wohl des Konflikts zwischen abstrakter Idee und deren Vermittelbarkeit bewusst.
Regisseur Achim Freyer nun weist darauf hin, dass der Konflikt, den die Oper verhandelt, auch dem Werk selbst immanent ist: Du sollst dir kein Bild machen – ausgerechnet diese These gießt Schönberg in die Form des Musiktheaters. Bilder sind hier unausweichlich. „Was ich auch mache, eine Bühne ist immer ein Bild“, so Freyer, der auch als Ausstatter verantwortlich zeichnet. „Bilderlosigkeit ist eine vergebliche Mühe, ein Scheitern von vornherein“.
Achim Freyer, der ja auch malt, ist als Regisseur ein Bildkünstler wie kein zweiter. Und so wäre es verwunderlich, wenn nicht auch seiner Auseinandersetzung mit „Moses und Aron“ ein visueller Zauber innewohnen würde.
Freyer geht das „Bilderverbot“ offensiv an, indem er sogar eher Bilder als eine Handlung inszeniert. Aber diese Bilder wirken selbst wie gedankliche Entwürfe, Traumbilder, Vorstellungen, wie sie sich möglicherweise im Kopf von Moses oder Aron abspielen. Zwischendurch verschwinden sie immer wieder. Dann ist die Bühne schwarz. Nur die Schrift der Übertitelungsanlage bleibt sichtbar. Und ein kleines ikonografisches Porträt von Moses über der Bühne – der Verfechter des reinen Wortes konnte es nicht verhindern, selbst zum Bild zu werden. Freyer stilisiert ihn zum Inbegriff eines alten Übervaters, mit Rauschebart und einer Frisur, die an einen Lichtkranz erinnert. Aron hingegen trägt bei Freyer die Züge eines Harlekins.
Die Bilder verdichten sich immer mehr – und werden dort am eindrücklichsten, wo die menschliche Katastrophe im Tanz um das goldene Kalb ihren orgiastischen, aber auch mörderischen Höhepunkt erfährt. Freyer, der mit Spiegelungen und Verdopplungen arbeitet, lässt Bilder von morbider Schönheit entstehen. Szenarien, die ein wenig an Hieronymus Bosch erinnern. Dann wieder ziehen mickeymausartige Tierfiguren über die Bühne wie aus einer schlechten Verfilmung von „Alice im Wunderland“. Und über allem dreht sich ein großer, in Goldpapier verpackter Lindt-Schokoladenosterhase – Sinnbild für das goldene Kalb, ins Absurde gewendet.
Das Paradox von der Verbildlichung des Bilderverbots – in Achim Freyers Inszenierung findet es gewiss keine Auflösung. Freyer spitzt es im Gegenteil noch zu. Und das Publikum schaut ihm dabei fasziniert zu – wie das isrealische Volk sich den Bildern hingibt, die Aron ihm schafft. Eine Verfälschung des Gedankens? Welche wunderbare Sünde! Einhelliger Beifall im Opernhaus.