Tobias Gerosa, Basler Zeitung (06.06.2011)
Leos Janaceks letzte Oper «Aus einem Totenhaus» am Opernhaus Zürich
Hoffnungsloser gehts kaum: Ingo Metzmacher und Peter Konwitschny verlegen Leos Janaceks letzte Oper «Aus einem Totenhaus» vom sibirischen Gulag ans Zürcher Bellevue – mit frappantem, wenn auch grellem Erfolg. Tröstend ist nur die Musik: stark.
«Aus einem Totenhaus» (natürlich im tschechischen Original gespielt) ist Leos Janaceks letzte und verstörendste Oper: ohne durchgehende Handlung, 20 Rollen ohne eine einzige Arie und in einer Tonsprache, die auch 80 Jahre später in ihrer kühnen Bruchstückhaftigkeit, ihren herben Farben und ihrer radikalen Zuspitzung die Akkorde wie Eisschollen übereinanderschichtet, herausfordert. Keine leichte Kost also – aber höchst lohnende, auch dank der szenischen und musikalischen Umsetzung.
Den Text hat sich Janacek aus Dostojewskis Straflagerroman geholt, aber in Zürich geht es nicht um historisch und geografisch fernes Russland, sondern um auch hier und heute aktuelle Mechanismen. Regisseur Peter Konwitschny, eine Ikone des Regietheaters und zum ersten Mal in Zürich tätig, macht das schon zur Ouvertüre mit einem Video vom Bellevue deutlich. Es ist ein Blick von oben, wie aus jener edel-unterkühlten Bar, die Johannes Leiacker für die drei Akte gebaut hat.
Hier trifft sich eine Männergesellschaft – sogar die Hosenrolle des Aljeja ist mit einem Tenor (Ilker Arcayürek) besetzt –, die trotz Ausgängen und Handys gefangen ist. Statt eines Kommandanten gibt es den Machtmenschen, der mit Geld um sich wirft. Häftlingsjacken zieht man sich zur Theateraufführung in der Mitte des Stückes an. Generell ist das Klima imprägniert von Gewalt und selbst beim Zuschauen peinigenden Demütigungen, die jeden treffen können. Regisseur Konwitschny verlängert die Bedrohung durch die Missachtung der vierten Wand ins Publikum.
verfremdung. Wenn Skuratow (Peter Straka) in seiner Liebesschwärmerei ins Parkett steigt und darauf ein Paar scheinbar entsetzt und «Skandal!» schreiend raustobt, wirkt das plakativ. Wenn der Chor aber unter den Zuschauern auftaucht und seine Kommentare singt, wenn die gnadenlosen Trommeln im zweiten Final auch von hinten ertönen, wirkt die Verfremdung beklemmend. Anders als bei Calixto Bieito in Basel, zu dessen Lesart das Stück zu einfach passte, tauchen bei Konwitschny zwangsweise die Fragen auf, wer und was denn hier die Macht hat.
Auch die Musik stellt diese Frage unerbittlich und entzieht sich raffiniert immer wieder, wenn man meint, hier die Antwort gefunden zu haben. Das machen Ingo Metzmacher und das Opernhausorchester schlagend deutlich. Scharf sind die Rhythmen und Dissonanzen, mächtig die Klangballungen. Die Inszenierung schafft es, die raren Stellen, in denen die Figuren Gefühle zeigen, hervorzuheben, die Musik bleibt im permanenten Überdruck – trotz dem eindrücklichen Ensemble (hervorhebenswert: Matjaz Robavs als Schischkow) und dem präsenten und engagiert spielenden Herrenchor.
Wie lange hat man im ununterbrochenen Premierenreigen am Opernhaus Zürich auf eine solche Produktion gewartet, in der eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Stück stattfindet und das Szenische dem Musikalischen nicht untergeordnet ist! Nach «Moses und Aron» vor gerade einmal drei Wochen gehört auch das «Totenhaus» in diese Kategorie, in der Musiktheater zeigt, was es kann.