Eine Deutung mit Fragezeichen

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (10.05.2006)

Don Giovanni, 07.05.2006, Zürich

"Don Giovanni" in Zürich mit afrikanischem Kolorit in der Regie von Sven-Eric Bechtolf

Jubel für Dirigent, Orchester und die Solisten und wenige Buhs für das Regieteam täuschen nicht darüber hinweg, dass die Neuinszenierung des "Don Giovanni" am Opernhaus Zürich szenisch wie musikalisch nur teilweise zu überzeugen vermag. Eine Klasse für sich ist allerdings der Don Giovanni von Simon Keenlyside.

Vorletzte Szene: Donna Elvira und Leporello erschrecken nicht vor der Marmorstatute des Komturs. Nein, Leporello trägt eine kleine afrikanische Holzfigur herein und setzt sie auf einen Stuhl. Schon vorher taucht die Figur auf, nämlich auf dem Friedhof. Don Giovanni hat sich zu seinem letzten Mahl das blutige Dinner Jacket übergeworfen, das der Komtur bei seiner Ermordung trug. Mit seinem Spiel macht Simon Keenlyside in dieser Szene eindrücklich deutlich, dass Don Giovanni einen nur von Lust getriebenen, abgrundtiefen, diabolischen Charakter besitzt. Sein Ende kann nur eine Höllenfahrt sein. Kein Quäntchen der Dramatik wird hier verschenkt, weder szenisch noch musikalisch. Diese fünfzehn Minuten gehen unter die Haut. Jedoch, die Szene stand in einem seltsamen Widerspruch zum Rest des Abends.

Regisseur Sven-Eric Bechtolf und sein Ausstattungsteam (Bühnenbild: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg) lassen das Dramma giocoso in einem goldenen Einheitsbühnenbild spielen, das Bühnenbilder des 18. Jahrhunderts mit Prospekten, perspektivischen Kulissen und Gassen dazwischen zum Vorbild hat. Durch das Herablassen oder Hereinschieben von Vorhängen sind rasche Szenenwechsel möglich. Ein ästhetisches, aber unterkühltes Ambiente. Sofas, Chaiseslonguen und eine Bar erinnern an die Art Déco-Zeit. Bei Mozart und Da Ponte sind die Protagonisten Adelige und Bauern, bei Bechtolf bilden Sie eine elegante Abendgesellschaft. Standesunterschiede gibt es nicht wirklich, es sei denn, ein solcher manifestiere sich darin, dass Zerlina im Gegensatz zu Donna Anna und Donna Elvira keinen Schmuck trägt. So weit so gut.

Entscheidend ist, dass Bechtolf den Don Giovanni bis zur Friedhofsszene nicht als Lüstling und Freigeist sieht. Bei ihm ist er der Liebling aller Frauen, ein Sympathieträger sondergleichen. Nicht er muss die Frauen verführen, sondern diese werfen sich ihm förmlich an die Brust, unabhängig davon, welchem Stand sie angehören. Zerlina kokettiert offenkundig mit ihm, und bei Donna Annas Schilderung vom nächtlichen Eindringen Giovannis in ihr Zimmer legt ein Bewegungschor den wirklichen Ablauf der Szene oder zumindest Annas Wunschvorstellung davon offen. Ein krasser Gegensatz zu den Worten, die sie singt. Problematisch wird bei dieser Interpretation der Schluss. Denn wieso sollte ein Verführter zur Hölle fahren? Bechtolf vermag den logischen Bruch nicht zu erklären. Auch die Reminiszenzen an Afrika – die besagte Holzplastik und eine Farbige als ständige Begleiterin des Komturs – und die eine oder andere Bebilderung durch den Bewegungschor lassen Fragen nach dem Sinn aufkommen.

Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst stand an diesem Abend zum 450. Mal am Pult des Opernhaus-Orchesters. Es entfaltete einmal mehr einen wundervoll transparenten, präzisen und weichen, wenn auch analytischen Schönklang. Den lyrischen Momenten und den leichten Stimmen der Frauen kam die Interpretation von Welser-Möst zupass. Woran es aber fehlte, war – abgesehen von Don Giovannis Höllenfahrt – der packende Zugriff in dramatischen Situationen. Spannungsabfälle waren die Folge. Die langsamen Tempi, das hat Nikolaus Harnoncourt im Salzburger Don Giovanni bewiesen, sind auf jeden Fall nicht daran schuld.

Einen gemischten Eindruck hinterliess auch das Sängerensemble. Nach dem Salzburger Pelléas steht Keenlyside in Zürich wieder in einer seiner Paraderollen auf der Bühne. Mit seiner balsamisch-lyrischen und in allen Lagen ausgeglichenen Stimme ist er eine Idealbesetzung, vor allem in dieser Produktion. Musikalisch geriet das Duett Là ci darem la mano mit der einmal mehr Sopranglanz einbringenden Martina Janková als liebäugelnde Zerlina zu einem der Höhepunkte des Abends. Die Spielfreude merkte man Anton Scharingers Leporello förmlich an, auch wenn sein übertrieben-komisches Agieren zuweilen an die Grenze des Erträglichen stieß. Musikalisch gefiel er trotz einer gewissen Eindimensionalität und Rauheit.

Piotr Beczala reduzierte den Ottavio auf den netten Begleiter ohne Pep, liess aber musikalisch mit seinem edel gefärbten, schlanken Tenor keine Wünsche übrig. Er wird die Rolle im Sommer auch in Salzburg in der Wiederaufnahme der Kusej-Produktion verkörpern. Die Überraschung des Abends war der aus Greiskirchen stammende Oberösterreicher Reinhard Mayr, der den eifersüchtigen Masetto (fast) zu einem ernsthaften Gegenspieler Don Giovannis werden liess. Alfred Muff als Komtur trug zum guten Eindruck der Herrenriege bei. Schwachpunkte waren leider Malin Hartelius als Elvira und Eva Mei als Donna Anna. Malin Hartelius gab an diesem Abend ihr Debüt als verlassene Ehefrau. Die lyrischen Qualitäten ihrer Stimme kamen in der Arie In quali eccessi im zweiten Akt eindrücklich zur Geltung. Doch für den Rest der Partie wirkte ihre Stimme zu weich, zu undramatisch. Eva Mei sang die Donna Anna zwar ohne Fehl und Tadel, gab ihr aber auch kein Profil.