Der Tod als einziger Ausweg aus dem Gefängnis

Roger Cahn, Deutschlandradio Kultur (04.06.2011)

Aus einem Totenhaus, 04.06.2011, Zürich

Konwitschny inszeniert Janacek am Opernhaus Zürich

"Aus einem Totenhaus" von Leos Janacek ist eine Oper ohne Handlung. Das macht jede Inszenierung schwierig. Es bietet aber auch Chancen. Peter Konwitschny nutzt sie, indem er in Zürich den sibirischen Gulag in ein Luxusloft im 44. Stock verlegt.

Es ist strahlend weiss auf der Bühne, wenn sich der Vorhang nach dem durch bewegte Bilder aus Zürich belebten Vorspiel hebt. Schwarze Gestalten - es könnten Zürcher Banker sein - vergnügen sich in einer Männergesellschaft bei Bier, Wodka und Champagner. Einzig der Chef - Konwitschny inszeniert diesen als Mafia-Boss - trägt einen weissen Smoking. Er repräsentiert die Macht, welcher die Männer zu gehorchen haben. Sein wichtigstes Instrument ist die Gewalt. In einer ersten Folterszene gibt er gleich den Tarif durch. Und alle spielen mit, nolens volens.

Der eigentliche Regisseur in Janaceks "Aus einem Totenhaus" ist die Musik. Gemeinsam mit dem Dirigenten Ingo Metzmacher schafft ihr Konwitschny den notwendigen Raum. Aus dem Orchestergraben steigen starke Emotionen auf: Hass, Sehnsucht, Verzweiflung oder Angst. Diese steuern die Männer auf der Bühne. Man könnte meinen, die seelische Gewalt entstehe aus der Musik, die physische Gewalt setze sich auf der Bühne um - ein ideales Zusammenspiel von Dirigat und Regie.

Das wichtigste Anliegen von Peter Konwitschny bei seiner Arbeit heisst: "Das Geschehen nah an den heutigen Zuschauer heranholen." Deshalb öffnet er immer wieder auch die Schranken zum Publikum. Ob die reiche, zu Gewalt neigende Männergesellschaft wirklich Nähe schafft, bleibt die Inszenierung allerdings über weite Strecken schuldig. Zu vieles endet im bekannten Infotainment, mit dem uns die elektronischen Medien heutzutage überfluten. Man fragt sich immer wieder, ob Dostojewskis Gulag, der dem Libretto zugrunde liegt, nicht mehr emotionale Nähe geschaffen hätte als Konwitschnys Mafia-Gesellschaft. Unter die Haut geht die Inszenierung erst im letzten Akt, als die Männer beim Auftauchen einer riesigen Marioschka beginnen, echte Gefühle zu zeigen. Dadurch wird auch der Schluss besser verständlich: Die Aufführung verzichtet auf den Adler, der Hoffnung bedeuten würde. Vielmehr erschiesst der Kommandant den "zur Freiheit verurteilten" Häftling - der einzige Ausweg in eine andere Welt ist der Tod.

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf sehr hohem Niveau. Ingo Metzmacher legt die Emotionen, die aus den Tagebuchaufzeichnungen der Häftlinge stammen, deutlich und spannungsvoll frei. Die wenigen gesungenen Passagen - die vier persönlichen Geschichten von Luka, Skuratow, Schapkin und Schischkow - bilden einen wirkungsvollen Kontrapunkt zum meist aus simplen Einwürfen bestehenden Rest der Oper. Hohe Anforderungen an ein homogenes Ensemble.

Fazit: Eine in sich selbst schlüssige Produktion, der es aber erst gegen Ende gelingt, die gesuchte emotionale Nähe zum Zuschauer zu finden.