Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (28.06.2011)
Wagners «Parsifal» im Opernhaus Zürich
Wie oft mag er den Titurel gesungen haben, wie oft den Gurnemanz? Wagners «Parsifal» hat Matti Salminen ein Leben lang begleitet. Vor etwas mehr als vier Jahren, bei der Wiederaufnahme der fesselnden, abstrakten Inszenierung von Hans Hollmann am Opernhaus Zürich, die dank dem Dirigenten Bernard Haitink zu einer Sternstunde wurde, war er als Gurnemanz dabei. Und jetzt, in der neuerlichen Zürcher Produktion von «Parsifal», wirkt er in derselben Partie mit.
Ein Vater und seine Söhne
Und erneut staunt man über die Alterslosigkeit dieser gewaltigen und doch so sorgsam eingesetzten Stimme. Keinerlei Einbusse ist da zu hören, im Gegenteil: Reife des Lebens und Erfahrung in der Kunst führen zu einem Auftritt, der von grossartiger Differenzierung lebt und darum von A bis Z – die Spanne dazwischen ist beträchtlich, es handelt sich schliesslich um Wagner – gefangen nimmt. Mit einer Kraft, die nur ihm eigen ist, fügt sich Salminen ins voll aufspielende Orchester ein. Zugleich findet er aber auch zu Ebenen des Leisen, die das Gesungene bis ins Selbstgespräch führen – das will bei dem stimmlichen Volumen, über das Salminen verfügt, etwas heissen. Bewundernswert einmal mehr auch die Diktion; dieses Mass an Verständlichkeit ist alles andere als selbstverständlich, und wie er die deutschen Konsonanten oft ohne Aspiration formt, ist fast zu einem Markenzeichen des finnischen Sängers geworden. Dass dieser grosse Künstler jetzt mit dem Preis der Zürcher Festspiele ausgezeichnet wird, ist so stimmig wie würdig.
Auch jenseits dieser zentralen Rolle bietet der neue Zürcher «Parsifal» Sängerfreuden der gehobenen Art. Titurel findet bei Pavel Daniluk geradezu herrscherliche Positur, während Klingsor von Egils Silins mit aufbrausender Energie versehen wird. Geradezu sensationell der Amfortas von Thomas Hampson. Erstaunlich, was für Kraftreserven bei gepflegtester Stimmgebung Hampson mit seinem noblen Bariton zu mobilisieren vermag – und wie er die stimmliche Entgrenzung einbindet in eine Darstellung, in der sie sich mit der zugespitzten sprachlichen Formung und dem rückhaltlosen Körperausdruck zu einem explosiven Ganzen verbindet. Eindrücklich auch Yvonne Naef als Kundry – wiewohl: In der Verführungsszene wäre, was das Dynamische betrifft, eine Spur Zurückhaltung eine Wohltat. Und dann Parsifal: Stuart Skelton bringt da einen vielleicht nicht übermässig obertonreichen, aber fest in sich ruhenden, klanglich satten Tenor ein. Sehr ansprechend besetzt ist auch das Ensemble der Ritter, Knappen und Blumenmädchen.
Und alle bewegen sie sich in einer Inszenierung, die zum Bewegendsten gehört, was zu «Parsifal» in den letzten Jahren gesagt worden ist. Vor dem Bühnenweihfestspiel Richard Wagners streckt ja mancher Regisseur die Waffen, oft genug wird das Werk statisch und damit verkappt konzertant dargeboten. Nicht so Claus Guth, der auch bei dieser für das Liceu in Barcelona entstandenen und jetzt nach Zürich übernommenen Arbeit einen eigenwilligen und originell deutenden Zugang gefunden hat. Der Verlangsamung, ja der Aufhebung des Zeitverlaufs im Entwurf Wagners antwortet er szenisch mit Dramatisierung, und das heisst auch hier: mit Psychologisierung. Und wie so oft deutet er das Stück aus seiner Entstehungszeit heraus, bezieht es also auf das gründerzeitliche Bürgertum und seine Krise in der Katastrophe des Ersten Weltkriegs – ohne Zweifel hat er sich da von Nora Eckerts Buch «Parsifal 1914» inspirieren lassen. Dazu kommt ein Kunstgriff, der die Inszenierung zu allerdings frappanten Ergebnissen führt.
Zum Vorspiel wird nämlich eine etwas öde Mahlzeit an einem ausladenden Tisch gezeigt. In der Mitte der Vater, der sich in einem gewissen Moment erzürnt erhebt und sich liebevoll dem einen Sohn zuwendet, derweil der andere sein Weinglas zu Boden schmettert und dann den Raum türenschlagend verlässt. Amfortas und Klingsor sind hier also Brüder, beide Söhne des alten, gebrechlichen, aber noch immer herrischen Titurel. Das gibt der Spannung zwischen Amfortas und Klingsor Plausibilität und lässt auch die unaufhörlich sehrende Wunde des Amfortas als einen vom Vater nicht akzeptierten Makel am Lieblingssohn verstehen. Vor allem aber führt es zu einer Aufwertung des Titurel, der für einmal nicht unsichtbar aus dem Hintergrund singt, sondern sichtbar und bestimmend agiert. Während Gurnemanz, hier ein Priester in Zivil, als ein nicht nur gütiger, sondern auch willfähriger, ja nicht weniger autoritärer Diener seines Herrn erscheint.
Durchaus passend zu diesem geradezu Freudschen Blick das grossbürgerliche Ambiente der Ausstattung von Wolfgang Schmidt. Auf der Drehbühne steht diesmal ein in die Jahre gekommener Palast mit vielen Gemächern und einer Treppe, die auf eine Galerie führt – was für eine Beweglichkeit gibt es da, was für überraschende Durchblicke, auch wie viele Arten charakterisierender Lichtgebung. Die Männergesellschaft, die sich durch diese Gemächer schleppt, sind Versehrte, zuckend in ihrer Erinnerung an das Grauen des Kriegs, das sie erlebt haben (besonders eindringlich verkörpert das der Tänzer Paul Lorenger). Parsifal gerät als ein vollkommener Fremdling in diese Gemeinschaft; wie ein neugieriges Kind streift er durch die Räume und beobachtet er manche keineswegs für ihn bestimmte Szene. In der Begegnung mit Kundry wird ihm klar, welches Problem Amfortas umtreibt, und fortan zielt er darauf, das Ruder an sich zu reissen. Im dritten Aufzug, die Kostüme sprechen das in ausreichender Klarheit aus, erstarkt die sieche Gesellschaft, weil sie sich in Parsifal einen neuen Führer erkoren hat, einen «Führer» eben. Das alles lässt einen nochmals nachdenken.
Schwer parfümiert
Wenn nur der Mann am Pult nicht wäre. Daniele Gatti hat eine vorgestrige Vorstellung von dieser Musik, und er führt sie mittelmässig aus. Äusserst gedehnt sind die Tempi im ersten Aufzug; schon im Vorspiel walzt er die Punktierten so weihevoll aus, dass die Punktierung nicht mehr zu erkennen ist. Mit den knapp zwei Stunden, die er für den ersten Akt benötigt, ist er nicht erheblich länger, als es Bernard Haitink bei der Zürcher «Parsifal»-Sternstunde vor vier Jahren war. Aber doch wesentlich weniger musikalisch. Gattis Langsamkeit ist nicht erfüllt, das klangliche Geschehen zu wenig modelliert, dafür schwer parfümiert, und spätestens bei der Gralsszene wird deutlich, dass die Steigerungen nicht mit der nötigen Sorgfalt gebaut sind, dass zu rasch zu viel Lautstärke erreicht und darum die Wirkung verfehlt wird. Es ist zum Verzweifeln, denn so erhält der neue Zürcher «Parsifal» einen Zug ins Langfädige. Und das, obwohl die von Jürg Hämmerli und Ernst Raffelsberger vorbereiteten Chöre ordentlich klingen und das Orchester der Oper Zürich einen tadellosen Auftritt hat.