Herbert Büttiker, Der Landbote (06.07.2011)
Duftiger Rokoko zum Saisonausklang: Die zweite Festspielpremiere des Opernhauses widmet sich Mozarts jugendlicher Serenata «Il re pastore». Als König mit dem Herzen eines Hirten gefeiert wurde Martina Jankova – die Anmut in Person.
Brunnenanlage, geschwungene Treppen und Statuen, die Figuren wie aus dem Porzellan-Zeitalter – auf der Bühne des Opernhauses blüht das Rokoko wie schon lange nicht mehr. Genauer gesagt, seit Jean-Pierre Ponnelles Zeiten. Und mit Ponnelles fantastischem Barock hat diese Inszenierung der selten aufgeführten Jugendoper Mozarts, geschrieben zu fürstlichen Feierlichkeiten im Jahr 1775, auch zu tun. Mit ihr verabschiedet sich Grischa Asagaroff als Regisseur von Zürich. Pereiras Künstlerischer Betriebsdirektor, der einst Ponnelles Assistent ward und dessen Erbe verwaltet, wird mit Pereira nach Salzburg ziehen. Im Opernhaus war Asagaroff regelmässig auch als Regisseur präsent, und mit diesem Mozart-Abend, eine Hommage an Ponnelle, zeigt er noch einmal, was diese Arbeit prägte: Sinn für das klassische Inszenierungshandwerk und zurückhaltend eigenwilliges Interpretieren des Stücks, dem keine Gewalt, sondern Leuchtkraft und Schönheit widerfahren soll.
Kunst und Augenschmaus
«Etwas richtig Schönes zu machen, tut gut», wird im Opernhaus-Magazin die Kostümbildnerin Dorothea Nicolai zitiert, die zusammen mit dem Bühnenbildner Luigi Perego für die opulente Ausstattung der leichtgewichtigen Serenata «Il re pastore» zuständig war. So viel Kunst im Augenschmaus musste dabei sein: die Bühne nicht nur als Rokoko-Bild, sondern aus Rokoko-Bildern gemacht. Gemälde von Boucher und Watteau zieren die Reifröcke der Damen, auf denen Damen in ebensolchen Kostümen zu sehen sind. Zudem: die Bühne in grenzwertiger Süsse, die durch verschmitztes Ausstattungsbrimborium ironisch gebrochen wird. Was da nicht alles auftaucht: Blumenbeet, Schafherde, die aufklappbare Schildkröten-Muschel-Sitzbank, der Spiegelfels, und am Ende erweist sich gar die Brunnenfigur als lebendig.
Eine Komödie ist «Il re pastore» freilich nicht. Eher ist die auf ein Libretto von Pietro Metastasio komponierte, und vermutlich vor der illus- tren Zuhörerschaft wohl nur andeutungsweise szenisch aufgeführte «Serenata» ein philosophisches Stück um Herrschertugend und Liebestreue, Gesellschaftszwänge und Natürlichkeit, Pflicht und Neigung.
Alexander der Grosse, der sich auf seinen Welteroberungszügen als Befreier und Ordnungsstifter betätigt, will auch in Sidon die legitime Dynastie wieder einsetzen und sie durch eine Hochzeit mit dem eben gestürzten Clan versöhnen. Dabei rechnet er nicht mit den bestehenden Liebesverhältnissen und macht zwei Paare unglücklich: Aminta, den neuen König, der bisher als Hirte gelebt hat, und seine Elisa, die wie er, unwissend, edler Abkunft ist. Auch Tamiri, die für Aminta ausgewählte Braut, ist schon in festen Händen – ausgerechnet denjenigen von Alessandros Getreuem Agenore.
Treue Liebe
Natürlich korrigiert Alexander am Ende seine fatale Strategie und lässt sich so erst recht als grosszügigen Herrscher feiern. Davor aber haben die anderen wunderbare Gelegenheit, in koloraturenreicher Arienmusik, vom Orchestra La Scintilla der Zürcher Oper und dem Dirigenten William Christie agil begleitet, ihre Herzen auszuschütten: Prunkstück der Partitur ist Amintas verschattet schönes Rondeaux «L’ameró, saro costante» – Martina Jankova macht damit und mit ihrem silbernen Gesang und der Anmut ihrer Figur den Abend zu ihrem Triumph.
Weniger elegisch als temperamentvoll reagiert Amintas Partnerin auf die Gefährdung der Liebe – und wie sich Malin Hartelius als Elisa musikalisch furios in Szene setzt, gehört nicht weniger zu den Höhepunkten des Abends. Den beiden gehört das einzige Duett der Arien-Partitur: ein einziges Schwelgen in hellen sopranistischen Sphären. Sängerisch blüht der Abend überhaupt, so auch mit Benjamin Bernheim als verzweifeltem Agenor, mit Sandra Trattning als betrübte Tamiri – und mit Rolando Villazón in der Partie des Alessandro.
Der Startenor, der mit seiner Stimme schwierige Zeiten durchlebte, präsentiert sich in unerwartetem Repertoire und fügt sich kollegial ins Zürcher-Ensemble ein. Bequem liegt ihm die Partie des Alessandro nicht, das zeigen die Intonation der schnellen Rezitative, die Tiefen der Arien und die Koloraturen, die konzentrierte Arbeit sind. Aber Villazón überrascht auch mit der Beweglichkeit und Tim- brefülle seines Tenors und der Kreation einer köstlichen Figur: Villazón zeigt einen von seiner Grossartigkeit selber nur allzu sehr eingenommenen, dabei eben auch ungeschickt agierenden, fahrig gestikulierenden Gutmenschen. Während die anderen ihre rührend allzu rührenden Miniaturen mit Augenzwinkern leicht ironisieren, macht er Alessandro zur komischen Figur. Das wird im Verlauf des Abends immer deutlicher und wächst musikalisch mit dem Pathos der Arien und dem heroischen Anspruch der Koloraturen gut zusammen.
Ob das so dem Erzherzog Maximilian Franz und seinem Gastgeber, dem Salzburger Fürsterzbischof Colloredo, gefallen hätte, mag offen bleiben, aber gut lachen hat das Premierenpublikum jetzt im Opernhaus.