Anna Kardos, Tages-Anzeiger (06.07.2011)
Das Zürcher Opernhaus zeigt Mozarts «Il re pastore» mit Rolando Villazón, der als Alexander der Grosse für Aufregung sorgt.
In seinen Schnallenschuhen stapft er über die Bühne: Alexander der Grosse, damit beschäftigt, der widerspenstigen Falten in den Laufmetern seines Umhangs Herr zu werden. Ja, wenn es bloss die Falten wären! Denn irgendwie klappt es mit dem Herrschen gerade allgemein nicht so. Hier, im bukolischen Idyll von Sidon, scheinen sich alle – Falten, Schäfer, Untertanen – gegen ihn verschworen zu haben. Dabei will man auf der Durchreise ja nur Gerechtigkeit und Ordnung stiften!
Die mozartsche Ironie macht vor nichts und niemandem halt. Schon gar nicht vor Herrscherfiguren – und dies, obwohl die Serenata «Il re pastore» des damals 19-jährigen Komponisten zum Empfang von Erzherzog Maximilian entstanden ist. Mit einem Bein in der (strengen) Opera seria, mit dem anderen in der (heiteren) Pastorale, schafft sie so etwas wie die Quadratur des Kreises. Denn trotz formaler Strenge wird mit ironischen Fingerzeigen nicht gegeizt. Genüsslich pfropft Mozart etwa in der Auftrittsarie von Alexander dem Grossen Tonwiederholungen aneinander, sodass neben aller Majestät auch etwas Dumpfbackenes aus der Musik tönt. Und wenn die Schäferin Elisa in ihrer Affektarie gebetsmühlenartig «Barbaro!» hinauf- und hinunterträllert, hat man seine liebe Not, sich in das Leid der armen Schäferin zu versetzen, so sehr muss man sich das Lachen verbeissen. Meistens aber ist die Musik lieblich wie ein Melodie gewordener Frühling und so hübsch, dass man gar nicht weiss, wohin vor lauter Wohlklang.
Selbstironischer Villazón
Dirigent William Christie versucht es mit der englischen Art. Trocken und humorvoll lässt er das Orchester aufspielen. Ob Dissonanzen oder Reibelaute, er holt, wo er kann, «Dreck» in die Musik. So wird das Orchester zum rasanten Gefährt, auf das die Sänger ihre Melodien legen können (und von dem auch mal eine Note herunterfällt, was aber keinen zu kümmern scheint).
Und los gehts, mitten ins Geschehen, wo zunächst Friede, Freude, Eierkuchen herrscht. Passend dazu hat Luigi Perego die Bühne in ein Osterpostkartenidyll verwandelt. Eine bemooste Lichtung mit putzigen Schäfchen und Blumen gibt den malerischen Hintergrund ab für zweieinhalb Schäferstündchen der musikalischen Art. Selbst die Protagonisten sehen in Peregos Kostümen aus, als wären sie den Rokokofresken des Opernhauses entstiegen: der grundehrliche Schafhirte Aminta in kurzem Wams, seine kecke Geliebte Elisa mit Strohhut und Krinoline, der Höfling Agenore mit seiner Angebeteten Tamiri.
Der Liebe dieser vier stünde nichts im Wege. Wäre da nicht Alexander der Grosse, der auf seiner Durchreise einen jeden Ort damit zwangsbeglückt, dass er Frieden spricht, wo bereits Frieden ist; Gerechtigkeit herstellt, wo keiner danach schreit, und Ehen stiftet, wo die Liebe nicht hinfällt. Mit der Grandezza eines Flohzirkusdirektors verursacht so der grosse Herrscher einen Sturm im Wasserglas nach dem anderen.
Das ist gut so. Ansonsten hinge einem die liebliche Idylle samt überzuckerten Bildern und ach so guten Menschen schon vor der Pause zum Hals heraus. Noch besser ist, dass Alexander von Rolando Villazón gesungen wird. Wenn auch die Stimme des Startenors nach mehreren Krisen nicht mehr den jugendlichen Glanz und die ehemalige Klarheit aufweist, so gibt er doch einen grandiosen Alexander. Mit Attitüde, Energie hoch zwei und vor allem: viel Selbstironie. So schwebt und stolpert er durch den Kreis seiner Untertanen, wenn er nicht gerade mit weichem Ansatz und tragender Stimme seine Weisheiten von sich gibt – ob sie nun jemand hören mag oder nicht. Dabei erscheint der grosse Mann vor allem als kleines Kind mit dem unbedingten Wunsch, ausnahmslos alle glücklich zu machen.
Ihm dabei nicht den Spass zu verderben, kostet seine Umwelt einige Anstrengung. Beispielsweise Agenore (Benjamin Bernheim): Stets treuer Untertan und fleissiger Emporkömmling, versucht er, im Hintergrund alle Fäden zu ziehen. Dabei muss er sich gewaltig verbiegen. Das macht Bernheim auch stimmlich klar, wenn er weniger auf fliessende Melodik als auf exaltierte Gestaltung setzt.
Nicht so der Schafhirte Aminta. Wie recht wäre ihm die Welt, so wie sie ist! Hauptsache, er hat Elisa an seiner Seite. Dass ausgerechnet ihm als rechtmässigem Erben die Krone zusteht, bereitet ihm einiges Kopfzerbrechen – und zur Freude des Publikums auch einige Arien. Selbstverständlich und klar wie ein Gebirgsbach hüpft Martina Janková in der Hosenrolle des Aminta von Koloratur zu Koloratur.
Dezente Regie
Wenn ihre liebliche Stimme und Malin Hartelius’ Sopran sich im Liebesduett umschlingen, taucht man selbst im Zuschauerraum ein in eine entrückte Idylle. Dann vergisst man, dass Janková auch energischer sein kann. Mit schelmischen Betonungen sucht sie Stimmregister und Hinterkopf ab nach der Lösung, wie neben dem Thron Elisa zu gewinnen sei. Wo doch Alexander ihr respektive ihm Tamiri zuhalten wollte, die Sandra Trattnigg sehr behutsam charakterisiert.
Dass am Zürcher Opernhaus oft gewinnt, wer bloss nicht zu viel wagt, weiss Hausregisseur Grischa Asagaroff. Vielleicht greift er deshalb nur mit dezenten Ideen oder kleinen Humoresken in das Bühnengeschehen ein. Ansonsten lässt er die Oper durch die Musik und ihr Bilderidyll wirken. Und wenn sie schliesslich vorbeisäuselt, bleibt von ihr nicht viel mehr als von einem schönen Tagtraum.