Versöhnung auf dem Klosterhof

Herbert Büttiker, Der Landbote (27.06.2011)

I Lombardi alla prima crociata, 24.06.2011, St. Gallen

Auf dem Klosterhof war es kühl, aber der Dom glühte rot auf: zu Verdis Oper «I Lombardi» an der Festspieleröffnung am Freitag und zu einer Aufführung, in der musikalische Lava strömte. Die Oper scheint wie für den Klosterhof gemacht.

Eine weite, hügelige Fläche, dahinter die Türme der Kathedrale: Die Bühne für die Oper, die auf einer epischen Dichtung über die lombardischen Kreuzritter basiert, ist monumental. Die grosse Geste entspricht der 1843 an der Scala uraufgeführten «Nabucco»-Nachfolgerin «I Lombardi alla prima Crociata» mit ihren hymnischen Chören, innigen Gebeten und religiös-patriotisch angeheizten kriegerischen Rhythmen. Aber das Werk, das eine ausgedehnte Erzählung in einem knappen, sprunghaften Szenenbau schlaglichtartig über grosse Zeiträume und wechselnde Schauplätze hinweg verfolgt, rechnet doch auch mit eingehender Illustration. Im weiten Klosterhof ist es jetzt nicht einfach, dem szenischen Verlauf zu folgen, und es ist offenbar auch nicht die Absicht des Regisseurs, den Tathergang des Vatermordes, den Einfall der Kreuzritter in den Harem des Fürsten von Antiochia, die Flucht und Verfolgung zweier Liebender in der Wüste, die Rettung der verdurstenden Krieger an der Quelle von Siloam und schliesslich Schlacht und Sieg vor den Toren Jerusalems quasi filmisch zu zeigen.

Gute Librettokenntnis ist von Vorteil und hilft auch zu verstehen, wie die Inszenierung (Guy Montavon) den sperrigen Stoff in den Griff bekommt, ohne ihn an unangemessene Ideologiekritik zu verraten, dafür aber Verdis Utopie der Liebe leuchten zu lassen. Es geschieht in hoch ästhetischen Bildern (Hank Irwin Kittel), zu denen eine raffinierte Lichtregie (Guido Petzold) und klar stilisierte Kostüme (Uta Meenen) gehören. Die Regie betont die Gleichartigkeit religiös motivierter Kriegslust in beiden Lagern durch genau Parallelführung, und sie macht aus dem Eroberungs- ein Versöhnungsfinale. Die entgrenzenden Momente der Musik werden bis zum Stilbruch herausgestrichen: Das grosse Violinsolo spielt hier (scheinbar) ein Clown am Bühnenrand, der weisse Ballone in den Nachthimmel steigen lässt.

Utopisches Mysteriendrama

Weitere Zeichen machen die Domkulisse zum Ort eines utopischen Mysteriendramas. Die Gefahr der Glätte, die das abstrakte Bühnendesign birgt, kompensiert die intensive gestisch-musikalische Präsenz der Darsteller. Die Premierenbesetzung machte die Aufführung zum Ereignis: die Sopranistin Katia Pellegrino als fulminante Giselda, mit berührender Portamento-Anmut in den lyrischen Passagen und in der dramatischen Attacke, deren Intensität im zweiten Finale – «quasi colpita da demenza» angesichts des Horrors – einem den Atem raubt; der Tenor Maxim Aksenov als Oronte, der in seiner Kavatine «La mia letizia infondere» alle emphatische Liebeshoffnung überquellen lässt; der Bass Ti- gran Martirossian als Pagano zwischen pastosem Pastoralklang und griffiger Schwärze des Schurken.

Weitere prägnante Rollengestaltungen wie Derek Taylors Arvino oder Tijl Faveyts Pirro sind zu nennen, und dass «I Lombardi» eine der grössten Choropern ist, lässt das grosse Aufgebot mit dem Theater- und Opernchor des Theaters St. Gallen, dem Theaterchor Winterthur und dem Prager Philharmonischen Chor erleben. Ob es sich um hymnische Melodik im weiten dynamischen Bogen handelt oder um das Trommelfeuer wortpräziser Rhythmik – auch in den schwierigen akustischen Verhältnissen begeistern Reinheit, Koordination und ausdrucksstarke, zumal im «Gerusaleme»-Chor auch atmosphärisch stimmige Präsenz.

Die musikalische Aufführung ist überhaupt konzentriert und von einem einheitlichen Zug durchs Ganze geprägt. Am Werk ist mit Antonio Fo- gliani ein Dirigent mit genauem Gespür für Puls und Zug, für das Wechselspiel retardierender und drängender Phrasen und die Feinarbeit im dynamischen Spektrum.

Das Sinfonieorchester vermittelt auch über die Lautsprecheranlage, dass Verdis instrumental angereicherte Partitur an Effekt und Kolorit sehr viel zu bieten hat. Alles in allem ist den St. Galler Festspielen mit der selten gespielten, für den Klosterhof aber geradezu prädestinierten Verdi-Oper ein Wurf gelungen.