Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (06.09.2011)
Erste Opernpremiere der neuen Saison: Diesmal hatte Bern die Nase vorn. Am Sonntag ging Richard Wagners «Fliegender Holländer» in einer viel schichtigen Inszenierung von Dieter Kaegi über die Bühne.
Schon das erste Bild hat Atmosphäre: Videos suggerieren bewegte Wassermassen aus der U-Boot-Perspektive, und aus dem Bühnenhimmel taucht Senta ins Wasser, dreht sich, strampelt und stirbt. Das Ende – Senta stürzt sich von der Klippe und erlöst damit den Holländer von seinem Fluch – hat Regisseur Dieter Kaegi vorweggenommen, wie er auch sonst in den Zeitebenen hin und her springt, ohne dass die Stringenz der Handlung darunter leiden würde.
Ganz auf Senta fokussiert
Der Regisseur erzählt Wagners «Fliegenden Holländer» ganz auf Senta fokussiert. Als Kind hat sie den Holländer schon einmal gesehen, auf einer der Reisen mit ihrem Vater Daland. Sie hat ihn gezeichnet, und seither ist sie besessen von der Idee, dass er zurückkommen wird und sie das Werkzeug seiner Erlösung werden wird. Kaegi erzählt aber auch die Geschichte eines Mädchens auf einem Boot voll rauer Männer. Die kleine Senta wurde als Kind auf dem Schiff Dalands schon gequält von der Besatzung, und offenbar auch missbraucht von Daland und den Matrosen. Dass er sie dann für Geld und Perlen verschachert, wundert niemanden mehr.
Dalands Schiff ist Sentas Gefängnis, und wenn sich wie ein Wolkenkratzer das U-Boot des Holländers neben Dalands Schaluppe schiebt, wird allen klar, dass Senta auch im herbeigeträumten mystischen Seemann keine neue Freiheit gewinnen wird. Immerhin, ihre Leidenschaft ist echt, das zeigt Kaegi auch, aber der Sprung ins Wasser am Ende bleibt doch nichts anderes als folgerichtig, nicht nur «treu bis in den Tod», sondern auch der letzte Ausweg aus einem Leben ohne Perspektiven und Hoffnungen.
Kaum musikalische Dramaturgie
Die musikalische Seite dagegen ist weniger geprägt von Vielschichtigkeit. Im Gegenteil: Dirigent Srboljub Dinic setzt sehr einseitig auf knalliges Herausarbeiten der Dramatik, auf den Drive der Rhythmen und den Wiedererkennungswert der Leitmotive, die er immer in der gleichen Art zelebriert: laut und plakativ. Er lässt das Orchester durchaus auch piano musizieren, und die Berner Holzbläser beweisen, dass sie klanglich durchaus delikate Klangfarben entwickeln können. Aber viel zu schnell schnellt die Lautstärke wieder ins Forte und Fortissimo. Terrassendynamik quasi, dazwischen gibt es wenig: kaum Spannungsaufbau, kaum Entwicklungs linien, kaum musikalische Dramaturgie.
Das ist seit Jahren dasselbe bei Dinic. Das Berner Publikum scheint es zu goutieren, aber eine so platte musikalische Grundhaltung bei einem Chefdirigenten ist in einem nur schon nationalen Vergleich einfach ein Handicap. Denn es hat natürlich auch Konsequenzen für die Sänger, die weit über die Möglichkeiten ihrer Stimmen zum Forcieren gezwungen werden. Noch einigermassen gut damit zurecht kommt Luciano Batinic als Daland, der innerhalb der Fortissimo-Wellen noch immer Linien zu gestalten in der Lage ist. Auch Niclas Oettermann als Erik verfügt über das Volumen, und das in einem angenehmen, runden Tenor-Timbre, lässt sich aber auch des Öfteren seinerseits zu vokalen Kraftmeiereien anstacheln, völlig unnötig und auf Kosten einer sinnvollen Phrasierung.
Melodien sparsam orchestriert
Zufrieden sein kann Andries Cloete als Steuermann: Er hat den grossen Vorteil, dass seine Melodien nur sehr sparsam orchestriert sind. Aber Mardi Byers als Senta, die in ihrer Ballade auch sehr schöne leise und dunkel-glühende Töne einbringen kann, muss fast immer zu wenig runden und in der Höhe spitzen und grellen Klangfarben greifen, womit die wirklich exaltierten Momente ihrer Rolle, wo die Stimme dann durchaus über die Grenzen des Schönklangs hinausgehen darf, nur noch bemüht wirken. Und in der Titelrolle gibt Kevin Short den Holländer wirklich als Sängergeist, was nicht allein an Dinic liegt: Die Stimme ist einfach am Ende und den grossen Monologen dieser Oper von Richard Wagner bei Weitem nicht gewachsen.