Herbert Büttiker, Der Landbote (06.09.2011)
Mit Richard Wagners «Fliegendem Holländer» eröffnete das Stadttheater Bern am Sonntag eine Übergangssaison. Begonnen hat der Abend mit einem Sprung ins Wasser.
Wirbelnd sinkt Senta immer weiter in die Tiefe, bis ihr Körper leblos schwebend in der Weite entschwindet. Als ob wir selber eingetaucht wären, blicken wir in die blauen Wassermassen, weit oben glänzt der Wasserspiegel. Die Bühne des Stadttheaters Bern ist auch ein Meeresaquarium, wenn der Vorhang zur Ouvertüre mit ihrer Imitation des Seegangs aufgeht. Sentas Sprung ins Meer, mit dem sie am Ende der Oper den zur ewigen Irrfahrt durch den Ozean verfluchten Kapitän erlöst, nimmt der Regisseur Dieter Kägi vorweg. Das bedeutet, dass die Oper hier vor allem «Senta» heisst und dass Wagners nordisches Seestück hier den Charakter der Ballade bewahrt, mit der Imagination des Fantastischen, Irrealen, Traum- und Sagenhaften.
Dalands Schiff im Sturm, das Auftauchen des Riesendampfers des Holländers, der ausnehmend triste Raum, in dem die Frauen nicht an Spinnrädern sitzen, sondern am Fliessband in der Fischverarbeitung tätig sind, das düster-tumultöse Matrosenfest – für all das hat Francis OConnor eine vielschichtige Bühne aufgebaut, beweglich, sodass sich die Bilder nathlos folgen und der ursprünglichen Intention Wagners gemäss das Stück in einem Zug durchgespielt werden kann.
Die Bühne ist eine starke Vorgabe für eine suggestive Regie, die nicht nur mit einer Senta-Akrobatin, sondern auch mit einem Senta-Kind die Geschichte der vom Vater verschacherten (und von ihm missbrauchten) Tochter ins Bild bringt, ganz im balladesken Rahmen und verstörend, wenn sie das Treuepathos mit unschuldigstem Mädchengesicht konterkariert, bevor sie ins Wasser springt: als Frau ohne Zukunft, Opfer des realen Vaters und Traummanns.
Starke Bühnenpräsenz
Mardi Byers besitzt für Senta beides, betörende lyrische Momente und stimmgewaltige Exaltation, bei der sie an die Grenzen und manchmal auch darüber hinausgeht in restloser Verausgabung. Starke Bühnenpräsenz haben auch ihre Partner. Kevin Short bietet mit viel dunklem Klang, aber auch glänzender Höhe eine geradezu ideale Verkörperung des Holländers, intensiv im Ausdruck und zugleich musikalisch klar und genau. Niclas Oettermann zeigt mit weit gespanntem Tenor, dass Erik alles andere als ein leichtgewichtig-chancenloser Nebenbuhler ist – dass die Konfrontation mit dem fremden Eindringling ausbleibt, ist nicht eine Sache seiner Statur, sondern von Wagners «autistischer» Dramaturgie.
Luciano Batinic als währschafter Daland, Andries Cloete als stämmiger Steuermann und Marit Sauramo als Mary komplettieren ein Ensemble, das sich in der expressiv aufgeladenen musikalischen Welt des «Holländers» hervorragend behauptet. Den rauhen, kraftvollen Ton trafen vor allem auch die Chöre, und das Orchester entfesselte alle Energien des Stücks: Srboljub Dinic forderte mit teils auch langsamen Tempi heraus, brachte aber den Frauenchor mit schnellen auch mal in Verlegenheit. Aber keine Frage: Das Berner Musiktheater meldete sich mit hoher Kompetenz imponierend zur neuen Saison zurück.
«Konzert Theater Bern»
Das Theater firmiert jetzt neu als Stiftung unter dem Begriff «Konzert Theater Bern». Die Stiftung möchte die Bereiche Konzert und Musiktheater näher zusammenbringen, um «Mehrwert für das Publikum» zu schaffen. Einen Übergang bedeutet die Saison 2011/12 auch, weil es die letzte des Intendanten Marc Adam ist, der in den fünf Jahren seiner Amtszeit für einen vielgestaltigen Spielplan gesorgt hat. Gleich am kommenden Wochenende gibt es eine Uraufführung: «Der Wunsch, Indianer zu werden» (Leo Dick). Und es folgen Strawinskys «The Rake Progress», Offenbachs «Orpheus in der Unterwelt», Donizettis «Lucia di Lammermoor» und Mozarts «Così fan tutte».