Bern eröffnet Spielzeit mit dem «Fliegenden Holländer»

Daniel Allenbach, Tages-Anzeiger (06.09.2011)

Der fliegende Holländer, 04.09.2011, Bern

Eine Oper über Seeleute spielt am und auf dem Wasser. Seine Inszenierung des «Fliegenden Holländers» lässt Dieter Kaegi allerdings unter der Wasseroberfläche beginnen und enden. Senta trudelt während der Ouvertüre und dann wieder während der letzten Takte ertrinkend dem Grund des Meeres entgegen; was wir dazwischen zu sehen und zu hören bekommen, ist ihr Lebensrückblick. Senta ist Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte über Aussenseiter und Erlösung durch weibliche Treue. Konsequent ist sie denn auch fast die ganze Zeit auf der Bühne sichtbar. Kaegi deutet den ersten Aufzug als Vorgeschichte mit Missbrauchsproblematik, aus der die kleine Senta in eine Fantasiewelt flieht. Später stilisiert sie sich zur Erlösungsfigur für den anderen Getriebenen des Stücks, den unheimlichen Seemann.

Kaegi setzt die Handlung über weite Strecken sehr präzise um. Einzelne Details bleiben aber unverständlich, und manchmal muss man den Text ausblenden, wenn er gar nicht zu den Ideen der Regie passen will - wenn sich die Spinnräder etwa in einer Fischfabrik drehen. Die Fischfabrik, der Wasservorhang, aber auch die beiden Schiffe sind von Francis O’Connor effektvoll gestaltete Spielorte, die technisch beeindrucken und viel Stimmung verbreiten.

Die Chöre gehören mit zu den musikalischen Glanznummern des Abends. Eine faszinierende Präsenz entwickelt Kevin Short als Holländer; sein kraftvoller Bariton scheint keine Grenzen zu kennen. Er setzt sich nicht nur gegen das Orchester durch, sondern vermittelt auch die Einsamkeit des ruhelos umhersegelnden Aussenseiters. Sehr zurückhaltend geht Mardi Byers ihre Rolle als Senta an. Scheu im Umgang mit Mitmenschen und gleichzeitig unglaublich sicher in ihrer Bestimmung, prägt sie diese junge Frau. Etwas verhalten beginnend, gewinnt ihr Sopran im Verlauf des Abends immer stärker an Glanz.

Einen starken Eindruck hinterlässt Luciano Batinic als undurchsichtiger Vater Daland. Jovial und gleichzeitig unheimlich durch die seltsame Beziehung zu seiner Tochter Senta gestaltet er szenisch und mit seinem durchdringenden Bass einige der Höhepunkte des Abends. Niclas Oettermann gibt den Erik als zutiefst verletzten und deshalb unberechenbaren Nebenbuhler. Wunderbar melancholisch gestaltet Andries Cloete als schläfriger Steuermann sein Lied vom Südwind, während Marit Sauramo (Mary) überzeugend als Aufseherin der Fischfabrik agiert.

Srboljub Dinic und das Berner Symphonieorchester lassen im Vorspiel noch etwas die Lockerheit vermissen. Zunehmend entwickeln Orchester, Dirigent und Ensemble aber einen wahren Sog. Dieser Sog wird durch die Entscheidung, die 130 Minuten lange Oper - wie von Wagner ursprünglich vorgesehen - ohne Pause zu spielen, noch verstärkt. So hebt der «Fliegende Holländer» in Bern tatsächlich ab.