Szenischer Absturz mit dem «Fliegenden Holländer»

Oliver Meier, Berner Zeitung (06.09.2011)

Der fliegende Holländer, 04.09.2011, Bern

Viel Aufwand, wenig Effekt: Regisseur Dieter Kaegi bringt Wagners romantische Oper «Der fliegende Holländer» auf die Stadttheaterbühne – so brav und verstaubt, dass auch die ausgezeichneten Sänger nicht mehr viel retten können.

Schrecklich muss der Sturm gewütet haben, als der hoch verschuldete Richard Wagner 1839 per Schiff von Riga nach London floh. Für die Kunst war es ein Gewinn: Auf der turbulenten Überfahrt soll Wagner den Plan gefasst haben, die Geschichte vom «Fliegenden Holländer» zu vertonen. Von einem Gotteslästerer berichtet die Legende, verdammt dazu, ewig über die Weltmeere zu schippern. Und von einer kleinen Hoffnung: Alle sieben Jahre darf der Verfluchte sein Gespensterschiff verlassen, um an Land eine Braut zu suchen, die ihn durch Liebe erlöst, indem sie ihm treu bleibt bis in den Tod.

Liebestod und Erlösung

Wagner machte daraus ein musikalisches Meisterwerk zwischen Tradition und Aufbruch. Für das Libretto bediente er sich bei Heinrich Heine, der die Sage in den «Memoiren des Herren von Schnabelewski» kolportiert hatte – mit einer ironischen Pointe, die den Komponisten indes eher wenig interessierte. Wagner begeisterte sich ganz unironisch für den weiblichen Liebestod als Bedingung der männlichen Erlösung. Wie, bitte schön, kann und soll man auf der Bühne heute mit einem solchen Thema umgehen? Und wie stellt man sich zu den Biederkeiten, die das Werk im Libretto versprüht? Regisseur Dieter Kaegi macht es sich einfach: Er nimmt überhaupt keine Haltung ein. Ganz brav wird das Stück entfaltet, in einer pseudorealistischen Szenerie, die einen Grossteil der Kreativenergie absorbiert zu haben scheint. Gewichtung? Interpretation? Dynamik? Personenregie? Von all dem (fast) keine Spur. Dabei beginnt der Abend durchaus vielversprechend: Während sich die Sturm-Ouvertüre entfaltet, wuchtig und scharf, wird Sentas Tod und damit das Opernende vorweggenommen – aus der Unterwasserperspektive sieht man zu, wie die Unglückliche dem Meeresgrund entgegenschwebt (Luftakrobatin: Janine Eggenberger). Doch schon die anschliessende (Auftakt-)Szene ertrinkt in altbackener Matrosenromantik. Die Regie nimmt alles in Dienst, was die Maschinerie des Stadttheaters hergibt. Doch der Effekt steht in keinem guten Verhältnis zum Aufwand. Und das gilt auch für den zweiten Akt, den die Regie – mit welchem Gewinn? – statt in der (Spinn-)Stube in einer Fischfabrik spielen lässt. «Gutes Rädchen, summ’ und brumm’» singen die Frauen am Fliessband.

Vom angekündigten Versuch, die Geschichte aus der Perspektive Sentas zu erzählen, ist wenig zu spüren. Indem Kaegi sie als Kind (Anna Stalder) durch den ersten Akt geistern lässt, erklärt er zwar ihr besonderes Verhältnis zum Holländer und füllt eine Leerstelle. Ein neuer Ansatz entsteht dadurch aber nicht.

Immerhin: Starke Stimmen

Senta erscheint als ewiges Mädchen im Strickpullover, der Holländer als kühle, unnahbare Gestalt im schwarzen Mantel. Darstellerisch bleiben beide blass und ihre Aussenseiterrollen blosse Behauptung. Dafür trumpfen sie gesanglich auf: Mardi Byers mit ihrem dramatischem Sopran voller Strahlkraft, aber auch voller Geschmeidigkeit in den leisen Passagen, Kevin Short mit einem schweren, runden Bariton, der auch helle Spitzentöne zulässt. Auch die übrigen Solisten überzeugen zumindest gesanglich über weite Strecken – Luciano Batinic als geldgieriger Vater, Niclas Oettermann als eifersüchtiger Nebenbuhler Erik und Andries Cloete als sehnsüchtiger Steuermann. Das Orchester und Dirigent Srboljub Dinic bleiben derweil einiges schuldig: Zwar kommt die Musik schwungvoll und wie aus einem Guss daher. Sie wirkt aber nicht sonderlich präzis, differenziert und transparent. Und letztlich scheint Dinic – im Einklang mit der Inszenierung – eher das Traditionelle in diesem Werk zu betonen. Am Ende tobt das Premierenpublikum vor Freude. Bloss: Worüber? Wie die Institution mit solchen Produktionen ein neues, jüngeres Publikum für das Musiktheater gewinnen will, bleibt ein Rätsel.