Sigfried Schibli, Basler Zeitung (07.09.2011)
Ein packender «Fliegender Holländer» von Richard Wagner zum Saisonstart am Stadttheater Bern
In Bern hat nicht nur eine neue Theatersaison begonnen, sondern auch ein neues Zeitalter: Aus den bisher getrennt marschierenden Formationen Stadttheater und Sinfonieorchester ist eine einzige «Firma» geworden, die sich «Konzert Theater Bern» nennt, selbstverständlich ein neues Logo verpasst bekommen hat und unter der Führung des von Weimar in die Schweiz heimgeholten Intendanten Stephan Märki der Berner Hochkultur auf die Sprünge zu helfen versucht.
Routiniert und ideenreich
Den künstlerischen Erfolg der ersten Saisonpremiere darf man aber zu weiten Teilen getrost dem früheren Theaterdirektor Marc Adam gutschreiben. Er engagierte mit dem eher im Ausland als in der Schweiz bekannten Dieter Kaegi einen handwerklich routinierten und zugleich unerschrockenen Regisseur, verpflichtete einige international renommierte, erfahrene Wagnersänger ans kleine Berner Haus und liess den Dirigenten Srboljub Dinic mit dem Berner Symphonieorchester und dem vergrösserten Chor so aufspielen, wie es eben Dinics Art ist: schmissig und sicher in der Tempowahl, unsentimental und präzis.
Schon das Vorspiel zur pausenlosen Urfassung in einem Akt (aber drei Aufzügen) lässt aufhorchen: Da glühen die Streicher, und das Blech wirkt wie mit der Blechschere ausgeschnitten. Auf der Bühne sehen wir eine junge Frau ins Meer abtauchen, sich drehen wie ein Windrad und schliesslich auf dem Meeresgrund ihr Leben aushauchen. Es ist der vorweggenommene Selbstmord der Senta, die nicht hinnehmen will, dass der Fliegende Holländer um ihretwillen seine verfluchte ewige Wanderschaft durch die Meere fortsetzen muss. Liebestod, einmal anders.
Die Regie zeichnet Senta als Kind an der Schwelle zur erwachsenen Frau. Ihr Vater Daland reisst ihr die Spielzeugpuppe aus der Hand, vergreift sich wohl auch an ihr. Da liegt eine ganze Geschichte verborgen, die Wagner nicht geschrieben, aber in Tönen angedeutet hat. Im zweiten Bild ist Senta eine Arbeiterin in der Fischverarbeitung – das reibt sich ein wenig mit dem Text des «Spinnerlieds», aber das Mechanische des Arbeitsprozesses ist beiden Tätigkeiten gemeinsam.
Erik, ihr Bräutigam, nimmt entsetzt wahr, dass sie sich vom seltsamen Fremden angezogen fühlt, von dem nur wir Theaterbesucher wissen, dass es der mythische Fliegende Holländer ist. Zu den schönen, weil unmittelbar sprechenden Ideen der Regie gehört es, Erik einen Fisch aufschlitzen und ihm das Herz rausreissen zu lassen: Eriks Herz.
Agil und aufgewertet
Ausgelassen geht es im dritten Bild zu, die trinkfreudigen Matrosen feiern und lassen den Steuermann einen Strip hinlegen, der die Damen begeistert. Senta macht auf einem Holztisch die Beine breit für den Holländer, und Erik – «Was hör ich! Was muss ich sehen!» – wird Zeuge eines Akts, an dem er wie auch Senta zerbrechen werden.
Die Berner Aufführung im Bühnenbild von Francis O’Connor ist auch wegen der Sängerleistungen ein schöner Erfolg. In der Titelpartie gibt Kevin Short einen im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn schwarzen Holländer, Mardi Byers singt die Senta packend und expressiv und dabei ungewöhnlich textverständlich. Luciano Batinic ist ein stimmlich klar zeichnender Daland, Niclas Oettermann der zwar forcierende, aber in seiner Rollenzeichnung glaubwürdige Erik. Aufgewertet sind die kleineren Partien der Mary (Marit Sauramo) und des Steuermanns (Andries Cloete).
Berechtigter Jubel über eine grossartige Ensembleleistung in einer Opernproduktion, die schon wegen der knappen Ausdehnung von 130 Minuten nicht zuletzt Wagner-Anfängern zu empfehlen ist. Ganz nebenbei ist die Produktion ein Appell, dass die Berner Bühnenmaschinerie einmal der Erneuerung bedürfte: Das Maschinengeräusch der Hebebühnen zerstört jedes Piano.