Herbert Büttiker, Der Landbote (09.09.2011)
Selbst das Mobiliar tanzt zu Rossinis Musik. Im Theater Winterthur eröffneten Opernhaus und Musikkollegium gemeinsam die Saison mit «La scala di seta». Aus dem Einakter macht ein virtuoses Ensemble einen abendfüllenden Spass.
Eine seidene Leiter gehörte bei Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde neben Hacken, Beil und Hammer zur Ausrüstung. Sie ist also ein durchaus taugliches Werkzeug für gröbere Expeditionen. So auch in Rossinis «La scala di seta». Mit ihrer Hilfe holt sich Giulia Nacht für Nacht den Mann ins Zimmer, mit dem sie heimlich verheiratet ist. Dass im Finale dann gleich drei Männer den seidenen Aufstieg benutzen, gehört zur Verwicklung der Handlung und beweist die Strapazierfähigkeit des Requisits. Und dass es hier handfest zugeht, zeigt die Inszenierung im Theater Winterthur vom ersten Augenblick an.
Mit dem ersten Takt der Ouvertüre beginnen die Arbeiter damit, eine ganze Einrichtung, Küche, Bad, Schlaf- und Wohnzimmer, auf die Bühne zu schieben – die schräg gestellte Spiegelrückwand zeigt den im Massstab 1:1 auf den Bühnenboden gezeichneten Plan, und von oben zeigt sich so auch das Möbelballett – ulkig wie in einem Puppenhaus, das sich füllt. Am Ende der Ouvertüre ist das Appartement komplett bis hin zum Glas mit dem Goldfisch – gutes Design allenthalben und total funktional. Das Wasser fliesst für Kaffee und auch zur Notwehr.
Witziger kann ein Opernabend nicht beginnen. Nur hat man ob all dem Treiben vielleicht die Musik ein wenig überhört. Immerhin, die Ouvertüre zu «La scala di seta» – einem der frühen Werke des Zwanzigjährigen, 1812 in Venedig uraufgeführt – hat man schon öfters gehört. Sie ist der bekannte Teil des sonst nur selten aufgeführten Stücks, das aus nur acht Musiknummern besteht. Mit tausend Gags, mit einem Arsenal von Requisiten, zu denen auch Fischfutter gehört, vor allem aber einem einsatzfreudigen Ensemble hat das italienische Inszenierungsteam Damiano Michielotto, Silvia Paoli, Paola Fantin daraus ein abendfüllendes Vergnügen gemacht.
Das Stück bietet dafür durchaus Hand. Mit dem Quartett in der Mitte ist ein Mittelakt-Finale mit entsprechendem Tohuwabohu gegeben. Eine perfekt platzierte zusätzliche Arie reichert das Stück an, und die schauspielerisch voll ausgereizten Rezitative tragen das Ihre zur ausgewachsenen Opera buffa bei, wobei der Dauerbetrieb der Gag-Maschinerie im zweiten Teil allmählich ermüdet – das Publikum, nicht die Darsteller.
Typen und Chargen
Zumal Ruben Drole in der Dienerrolle des Germano durchläuft, durchkriecht, durchtänzelt einen fast zweistündigen Riesenparcours, er macht Kaffee, fegt den Boden, glättet die Wäsche, flickt Socken, er rennt von einem Slapstick zum anderen, und ja, dabei singt er auch, und grimassieren kann er mit der Stimme ebenfalls: Das alles ist sehr vif und gekonnt, es würde problemlos für einen ganzen Mr.-Bean-Film reichen, ist für die Figur im Stück aber auch zu viel des Guten.
Gefragt sind in der «Farsa comica» kernige Typen, deren Reiz darin besteht, dass wir in ihnen reale Menschen zu erkennen glauben. Der sich für unwiderstehlich haltende Frauenheld ist so einer, vertreten in der Figur des Blansac, den Davide Fersini prächtig verkörpert und mit betörendem Baritonschmelz auch glaubhaft macht. Nicht grundlos hat Dorvil vor diesem Rivalen Angst. Die Eifersucht flammt auf, und voller tenoraler Intensität, beweglich und höhenstark lässt ihr Edgardo Rocha als sensibler Draufgänger in seiner Arie ihren Lauf.
Da zeigt sich, dass die beste Komik den feinsten Kippeffekten entspringt und dass es einen tieferen Grund hat, warum so eine Arie auch in einer Opera seria stehen könnte. Das gilt dann auch für Giulia, eine jener anmutig beherzten wie raffinierten Frauen der italienischen Opera buffa. Deren brillante und Legato-innige Verkörperung durch Sen Guo steht im Zentrum und begeistert in der Gelöstheit von Spiel und Gesang. Koloraturen und Fitnesstraining gehen da sehr wohl zusammen, aber auch die Melancholie des Englischhorns gehört in einem der bezauberndsten Momente des Stücks zu dieser eben auch berührenden Figur.
Ein anderer Fall ist wiederum Lucilla. Ihr Erwachen aus dem Mauerblümchendasein markiert eine kleine, pfiffige Arie, in der die Piccolos kichern, und man fragt sich, ob deren musikalische Wirkung und der Reiz der Figur nicht grösser wären, wenn die Regie mit der aparten Christina Daletska etwas weniger auf das grosse Geschütz der Knallcharge und etwas mehr auf den kecken Sopran gesetzt hätte. Ähnliches gilt für die Figur des Vormunds (Raimund Wiederkehr): Hauptsache Slapstick auch da.
Präzision und Klamauk
Jeffrey Smith am Continuo macht mit kleinen Tonmalereien immer wieder deutlich, wie sehr das Bühnentreiben in der Musik verankert ist: Der Klamauk hat seine Präzision, die Musik hat die ihre. Rossinis Kunst, mit einfachen Mitteln auch instrumental Theater zu machen, gehört zum Reiz dieses Frühwerks. Dur-Moll-Wechsel im Duett Germano-Giulia, «sprechende» Einsätze der Bläser, Piccolo und Englischhorn wie erwähnt, der Zucker der Flötenterzen und natürlich der rhythmische Effekt – beim Orchester des Musikkollegiums unter der Leitung von Zsolt Hamar war das alles bestens aufgehoben und die Koordination mit dem turbulenten Ensemble klappte erstaunlich gut. Nach einem zaghaften Beginn (aus dem ersten Takt der Ouvertüre wurden zwei) stellte sich rasch ein, was Rossini ausmacht: Brio und blühende Melodik.