Saisoneröffnung in Winterthur mit Rossini

Tom Hellat, Tages-Anzeiger (09.09.2011)

La Scala di Seta, 07.09.2011, Winterthur

Der effeminierte Mann. Er kocht, er parfümiert und artikuliert sich. Und auch wenn er weiss, wie man Hemden bügelt, kommt er beim Wort «Wäsche» auf ganz andere Gedanken. So sieht es zumindest Damiano Michieletto, der Regisseur von Rossinis Oper «La scala di seta» in Winterthur. Der geckenhafte, kochschürzenbehängte Blansac (treffend: Davide Fersini) rühmt sich, der Beste beim Schäkern zu sein. Aber in Rossinis Oper schlagen noch mehr Herzen wild durcheinander - in einer allerdings auf den zweiten Blick eher dünnen Story.

Es ist eine der harmlosen Vormund-Mündel-heimliche-Liebe-Geschichten mit der Variante, dass das Mündel über die seidene Leiter (daher der Titel) Nacht für Nacht den eigenen Ehemann in die Kammer lässt, während der nichts ahnende Vormund die Verheiratung derselben vorantreibt. Man muss also darüber hinwegsehen, dass das Paar Giulia und Dorvil, das sich eigentlich «kriegen» sollte, schon bereits zu Beginn der Oper verheiratet ist.

Die Inszenierung von Damiano Michieletto versucht erst gar nicht, dem Stück einen tieferen Sinn abzuringen, sondern folgt der Tradition italienischer Boulevardopern. Das wirkt zwar oft ein bisschen plüschig, funktioniert aber, weil die Darsteller ihre Typen aus dem Effeff beherrschen und Michieletto ein gutes Gespür für Timing hat. Es gibt selten leere Stellen, aber auch keine Szenen, in denen sich die Pointen gegenseitig ersticken. Man ist hier nicht um Erkenntnisse bemüht, sondern um Atmosphäre und, durchaus auch, Gefälligkeit. Und zwar erfolgreich.

Roben Drole als trotteliger Diener spielt die Missverständnisse genussreich aus. Hinreissend, wie er sich immer wieder in Verlegenheit bringt und mit Kung-Fu-Aktionen zu retten versucht. Und wenn einmal von echten Gefühlen gesungen wird, zappelt Drole unter seinen lauten Kopfhörern zu wildem Discofox.

Das ist bunt und knallig. Es hat aber Konzept. Denn die Komik beruht nicht auf der Exzentrik des einzelnen Spielers, sondern auf dem Zusammenwirken eines Ensembles, in dem die Personen ihre Schwächen entlarven: Sen Guo als Giulia produziert nicht nur makellose Koloraturen, sondern erfüllt sie auch mit jenem Sex-Appeal, um den sich das ganze Stück letztlich dreht. Ihr versteckter Ehemann Dorvil (Edgardo Rocha) verzeiht ihr nicht; muss dann aber erkennen, dass es seine Schwäche war, ihr nicht zu vertrauen, und nicht ihre. Die Coolness Giulias und das Misstrauen Dorvils heben sich also auf, und in dem leeren Raum, der dadurch entsteht, feiert die Musik Rossinis, die weder gut noch böse kennt, ihren Triumph.

Wunderbar, wie das Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Zsolt Hamar gleich zu Beginn die präzis aufgereihten Tonketten derart wild umherfliegen lässt, dass man fast in Deckung gehen muss. Zumal Hamar zuweilen die Temposchrauben noch anzieht, bis die Klanggirlanden im lauten Gewimmel fast auseinanderreissen.

Ein Funken schlagendes Musiktheater, das vom Bühnenbild originell aufgefangen und abgefedert wird. Die Kulisse selbst ist aufgemalt. Ein schwarzer Boden, die Grundrisse mit weisser Kreide eingezeichnet. Wände gibt es keine, und wo sich eine Tür befinden müsste, steht «Tür». Wenn also eine Figur ein Zimmer betritt, greift sie in die Luft. Nur etwa eine veritable Sitzecke sowie eine Dusche ragen aus dem Nichts. Doch wo so wenig Kulisse ist, wird alles Kulisse, auch die Menschen, die zwischen den Kreidestrichen stehen. «Inszenierung» ist also das Schlüsselwort dieser Inszenierung. Und wovon? Dessen, was man nicht sieht, aber ahnt. Und das ist für eine Opera buffa schon eine Menge.