Marlboro Man googelt Prinzessin

Christian Berzins, Aargauer Zeitung (11.04.2006)

Turandot, 09.04.2006, Zürich

Opernhaus Zürich: Giacomo Puccinis «Turandot» wurde in der Inszenierung von Giancarlo del Monaco und unter dem Dirigat von Alan Gilbert bejubelt.

«Zu guter Letzt gilt es doch immer, Klischees zu entlarven.» Der Gelehrte Edward W. Said hat die kleine Weisheit im Zusammenhang mit Schreiben und Denken gesagt, meinte aber im Prinzip die Kunstausübung ganz allgemein, im Speziellen vielleicht aber auch die Oper. Denn der Opernalltag ist voller Klischees. An Giacomo Puccinis unvollendeter «Turandot» kleben sie besonders gerne: Diese Oper ist lärmig, eindimensional, nur konventionell zu inszenieren und der Schluss geradezu dumm. Doch liegt in diesem Schluss, den Franco Alfano nach Puccinis Tod komponiert hat, wohl das Hauptübel aller «Turandot»-Klischees.

Erst Alfanos Musik lässt die vorangehenden zwei Stunden lärmig erscheinen. Dabei sind sie geradezu sinnlich und märchenhaft lyrisch, was von Puccini natürlich durchaus mal im Orchestertutti gezeigt wird. Dirigent Riccardo Chailly etwa hat in Amsterdam bewiesen, wie anders «Turandot» klingen kann. Und er hat auch gezeigt, dass man den Schluss von Alfano vergessen kann, da Luciano Berio einen sinnlichen, szenisch ausdeutbaren komponiert hat.

Allerdings hätte dieses Finale nicht in die Zürcher «Turandot» gepasst. Denn Regisseur Giancarlo del Monaco spielt mit «Turandot»-Klischees, ja sein Theatercoup ist es geradezu, zum traditionellen Schluss mit beiden Augen zu zwinkern. Doch der Grat ist schmal: Wie viel ist hier gekonnter Bruch und wie viel ist nur einfach mehr plumpe «Turandot»-Folklore?

Ein Calaf in Jeans und Lederjacke, mit Zigarette und Sonnenbrille - cool wie der Marlboro-Mann - ist nach Peking gelangt, wo er auf das blutige «Turandot»-Spektakel trifft. Eine Prinzessin stellt ihren Verehrern ein Rätsel: Heirat oder Tod ist ihr Los. Calaf stellt sich der Herausforderung. Bei den Rätseln kommt er arg ins Schwitzen, doch dank Laptop und Google löst er sie. Bald gehts in den Liebesjubel . . . und wenn sie nicht gestorben sind, so brüllen sie wohl heute noch. Doch Märchen, Fantasie oder Poesie ist etwas für Kinderbücher, nicht für del Monaco.

Aus der Klischee-Turandot (selbst die verlängerten Eisen-Fingernägel, die wohl aus dem Nachlass Birgit Nilssons stammen, hat man ihr aufgesetzt) schält sich flugs eine Billig-Diva im roten Abendkleid; Ping, Pang, Pong servieren Champagner, der ganze üppige Ballast fällt von der Inszenierung ab.

Warum das so ist, weiss wohl niemand so recht. Doch die Irritation geht im Fortissimo-Rausch von Dirigent Alan Gilbert, dem jegliche Kunst der Ausgestaltung abgeht, unter. Kommt hinzu, dass das Orchester öfters unpräzis spielt. Kein Wunder, dass dabei normale Sänger Probleme kriegen würden. José Cura (Calaf) allerdings kommt diese Art des Musikmachens eher entgegen, denn wenn er nicht über einem Mezzoforte liegt, klingt sein Tenor brüchig. Aber wehe, er wird losgelassen! Dann erlebt man eine Stimmkraft, die ihresgleichen sucht. Curas Stolz geht bis zur Arroganz, seine Stärke bis zur Selbstverliebtheit. Zu dem Typ Calaf, den er spielen soll, passt das Gehabe bestens. Paoletta Marrocu bezahlt das Dauerforte mit dem Verlust des einst hübschen Timbres. Und leider lässt sich auch Elena Mosuc (Liu) von Gilberts «Turandot»-Klischees beirren: Sie lädt ihre Arien unnötig auf, gibt Kraft anstatt Fluss - und bleibt doch die Beste des Trios. Denn ihr Gesang hat ein Fundament.

Marrocu und Cura hingegen schweben gestenreich über dem Abgrund: Das mag bisweilen eindrücklich sein, aber zementiert nicht viel mehr als Klischees - aufgrund des Schlussjubels offenbar allseits beliebte.