Mit der «Nase» beweist Peter Stein den richtigen Riecher

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (19.09.2011)

Nos, 17.09.2011, Zürich

Das Opernhaus Zürich setzt erneut Massstäbe in einem Werk des 20. Jahrhunderts: Nach Janáceks «Totenhaus» und Schönbergs «Moses und Aron» kam nun Schostakowitschs geniales Frühwerk «Die Nase» mustergültig auf die Bühne.

Das hat es wohl selten gegeben in einem Programmheft für eine Opernproduktion: Ein Comic anstelle einer trockenen Zusammenfassung als Inhaltsangabe, gezeichnet vom Bühnenbildner Ferdinand Wögerbauer. Er baute für die Inszenierung von Regie-Altmeister Peter Stein, der – in Pereiras letzter Saison – zum ersten Mal am Zürcher Opernhaus arbeitete, die 14 filmschnittartig montierten Bilder. Der 1928 gerade erst 22-jährige Schostakowitsch hatte diese für seine erste Oper aus Nikolaj Gogols bitterböser Novelle «Die Nase» extrahiert.

Es sind auch auf der Zürcher Opernhausbühne die Bilder eines Comics: zweidimensional und holzschnittartig, mal grösser, mal kleiner, mal höher über der Bühne, mal tiefer gestaffelt, dekoriert mit den kurzen Ausrufen des Genres in Leuchtschriften. Und angereichert dank Stein nicht nur mit grosser Theater-Erzählkunst und versierter Detailarbeit, sondern auch einem überaus wachen Sinn für die lustvolle Inszenierung der Situationskomik: eine Demonstration der Souveränität im Handwerklichen von Regie-Grossmeister Stein.

Gesichtserker zum Frühstück

Seltsame Dinge spielen sich ab im alten St. Petersburg: Der Barbier Jakowlewitsch beisst beim Morgenessen herzhaft in sein Brot – und findet darin eine Nase. Eine ebensolche fehlt beim Aufwachen dem Major Kowaljow, was dieser nicht sehr lustig findet. Jakowlewitsch entsorgt die verdächtige Sandwich-Beilage sofort im Kanal. Doch das argwöhnische Auge der Staatsgewalt schläft nicht.

Unerwartet taucht eine Nase in der prächtigen Uniform eines Staatsrats auf und sorgt in der Hauptstadt des russischen Zarenreichs für Verwirrung, Volksaufstände – und auf geheimnisvolle Weise ist am Ende alles wieder wie zuvor.

Schostakowitsch wählte das 1836 entstandene, surrealistische und sarkastische Werk Gogols, eine Satire auf die Beamten-Bürokratie unter Zar Nikolaus II., inmitten der Aufbruchsstimmung nach der russischen Revolution. Dazumal hatte der futuristische Glaube an die Möglichkeiten von Volk und Technik für künstlerisch ergiebige Freiheiten gesorgt. 1930 wurde Schostakowitschs «Nase» in St. Petersburg uraufgeführt, aber bereits da hatte der Wind gedreht, und das Werk wurde trotz Beifalls des Publikums durch Pressekampagnen verunglimpft – ähnlich wie vier Jahre später die Schostakowitsch-Oper «Lady Macbeth von Mzensk». Erst 1974 gab es in Russland wieder eine Aufführung der «Nase», während sie im Rest der Welt seit den Sechzigerjahren hin und wieder auf die Bühne kam; in der Schweiz zuletzt 2001 in Lausanne.

Grosse Oper und Burleske in einem

Ingo Metzmacher am Pult des Zürcher Opernorchesters war Garant für eine Umsetzung, die Schostakowischs unbekümmert durch alle Stile schwadronierende Tonsprache sowohl zu ihrem Recht kommen, aber nicht aus dem Ruder laufen liess. So konnte sich das gesamte Ensemble – und das Stück verlangt trotz zahlreicher Doppelbesetzungen mit über 30 Sängern das komplette Ensemble – sängerisch ins turbulente Geschehen einfügen, ohne ständig forcieren zu müssen. Herauszuheben ist ein in jeder Beziehung souveräner Lauri Vasar als Kowaljow. Aber auch Alexej Sulimov, Pavel Daniluk oder Eva Liebau wussten sich auszuzeichnen.

Das ganze Ensemble integrierte sich mit begeistertem Elan in diese turbulente und manchmal auch bitterböse Inszenierung. Die rhythmisch oft vertrackten Passagen gerieten nie ins Wanken, die Strahlkraft der Stimmen verlor keinen Glanz und die Komik in der Musik, die zwischen grosser Operngeste, Volksmusik, Choral und Burleske schillert, sorgte immer wieder für Heiterkeit.