Tobias Gerosa, Basler Zeitung (19.09.2011)
Nichts zu rümpfen: Peter Stein zeigt am Opernhaus Zürich Schostakowitschs Oper «Die Nase»
Was für eine Oper! Gerade einmal 22 war Dimitri Schostakowitsch, als er Gogols Erzählung «Die Nase» als Vorlage für seine erste Oper wählte, eine groteske Geschichte über den Major Kowaljow, der eines Morgens ohne seine Nase erwacht und diese dann durch St. Petersburg jagt.
Regisseur Peter Stein meint im Programmheft zwar, die Oper habe entgegen ihrem Ruf durchaus eine logische Handlung, und füllt die Zwischenspiele sinnstiftend mit fehlenden Handlungsteilen. Aber er nimmt auch die filmischen Schnitte auf und meisselt die Ironie, die aus dem Spannungsfeld von Text und Musik entsteht, komisch und unaufgesetzt heraus.
Arbeitet Stein anders als in seinen letzten Inszenierungen, etwa dem «Zerbrochnen Krug» oder Verdis «Macbeth» in Salzburg, die mit ihrer minutiösen Buchstabentreue an Interpretationsverweigerung grenzten, so unmöglich das auch ist? Einerseits nein: Stein belässt das Stück zur vorgesehenen Zeit am vorgesehenen Ort, lässt in Anna Maria Heinreichs klassisch-schönen Kostümen spielen und gestaltet sehr genau aus dem Text und auf die Musik.
Wildes 20. Jahrhundert
Stein hat in der «Nase» aber auch Singdarsteller zur Verfügung, die das umsetzen können. Aus den rund 80 Rollen, teils Spezialisten und viele aus dem festen Ensemble, ragt Lauri Vasar als Kowaljow mit eindrücklichem Tiefgang vom Clownesken bis zum heldenbaritonalen Aplomb heraus. Aber auch die Tenöre Michael Laurenz als Diener Iwan und Alexej Sulimov als fulminanter, valentinartiger Wachtmeister.
Andererseits entsteht ein ganz anderer Eindruck des Regiezugriffs – vielleicht, weil Schostakowitschs Oper in ihrer Dramaturgie und ihrer frechen und wilden musikalischen Machart 80 Jahre nach der Uraufführung noch immer modern und die Rezeptionsgewohnheiten unterlaufend funktioniert. Dass das Stück Gogols groteskes frühes 19. und Schostakowitschs wildes frühes 20. Jahrhundert verbindet, erweist sich daher als Glücksfall. Ferdinand Wögerbauers Bühne ermöglicht mit Zwischenvorhängen wie Blenden und überraschenden Luken blitzartige Szenenwechsel und überraschende Perspektiven. Filmartige Schnitte, schwebende Balken und der russische Schriftzug «Nos» (Nase), später auch ein einsames, an Malewitschs minimalistische Bilder erinnerndes Kreuz zitieren die avantgardistische Moderne, wie sie im Aufbruch der jungen Sowjetunion kurze Zeit möglich war und der sich Schostakowitsch zugehörig fühlte.
Musikalisch lässt Ingo Metzmacher keinen Moment Zweifel an der Modernität aufkommen. Stilistische Brüche werden betont, das Blech fährt schneidend ein, rhythmische oder motorische Elemente bekommen elementare Kraft. Es klingt, als hätte auch das riesig besetzte Orchester Spass daran, darunter neun Schlagzeuger, die mit einem reinen Schlag-Intermezzo bedacht sind. Die Kombination von Metzmacher und Stein hat überzeugend funktioniert.