Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (11.09.2011)
Eine der liebevollsten Opern von Benjamin Britten passt zum «Nacht»- Thema, das Luzern im Moment dominiert: «A Midsummer Night’s Dream». Am Freitag kam diese Shakespeare-Adaption auf die Bühne des Luzerner Theaters.
Puck ist eine Frau: Mit viel Kraft und Intensität spielt Heidi Maria Glössner diesen Kobold. Allerdings ist er in der Inszenierung des jungen deutschen Regisseurs Alexander Schulin eine relativ harmlose, wenig aktive Figur, verglichen mit dem dämonischen Strippenzieher oder spassigen Hofnarren, als der er verschiedentlich auch schon gezeichnet wurde. Für das Stück ergeben sich daraus keine Konsequenzen, und weil Schulin auch die anderen Figuren ohne intellektuelle Überfrachtungen zeichnete, schnurrte dieser «Sommernachtstraum» am Freitag im Luzerner Theater ohne grosse Überraschungen entlang der bekannten Handlung ab.
Arte povera anstatt viel Brimborium
Schulin präsentierte eine liebevolle Regie-Arbeit, handwerklich gekonnt, ohne aufgepfropfte Ideen. Auch die Ausstattung von Alfred Peter kam ohne viel Brimborium aus: keine Zauberwelten, sondern Arte povera als Inszenierungsidee: ein Mickerwäldchen statt üppiger Natur, Bretterbühne und gemalte Kulissen statt Ausstattungstheater, Alltagskleider statt fantasievolle Kostüme. Nur Oberon und Titania, gewandet im Stil englischer Königspaare der Shakespeare-Zeit, machten eine Ausnahme.
Aber neben der feenhaften Schönheit ist der «Sommernachtsraum» vor allen Dingen eine Komödie. Schon die Vor lage von William Shakespeare, aber auch die Umsetzung, die Benjamin Britten und sein Freund Peter Pears im Jahr 1959 vornahmen, ist über weite Strecken denkbar witzig. Da braucht es die Fähigkeiten und Detailarbeit eines guten Regisseurs, um die Komik des grottenschlechten Handwerkertheaters zum Leben zu erwecken.
Das gelang Schulin virtuos. Mit detailreicher Personenführung und vielen Ideen liess der den Klamauk zu seinem Recht kommen, nach Kräften unterstützt von einem Ensemble, das schon wiederholt seine komödiantischen Fähigkeiten bewiesen hat. Diesmal war es Utku Kuzuluk, der den Vogel abschoss und als gehemmte Thisbe mit Bühnenambitionen eine hinreissende Travestienummer abgab, noch verstärkt durch den Mut, seinen Tenor absichtlich schrill, schräg und falsch klingen zu lassen. Aber auch Marc-Olivier Oetterli machte als Zettel und verzauberter Esel beste Figur, wie das ganze kompakte Luzerner Opern ensemble einmal mehr überzeugte.
Etwas unterbelichtet in Schulins Regie blieben die beiden Wechsel-Liebespaare, unter denen vor allem Caroline Vitale als Hermia sängerisch wie schauspielerisch überzeugte. Mit Sumi Kittelberger hatte die Produktion eine strahlende Titania, die auch den Oberon vom Countertenor Alexander Schneider in den Schatten stellte.
Brittens Musik vernachlässigt
Brittens «Sommernachts»-Oper passt mit ihren abgründigen Schattenseiten, ihren Träumen, Verwirrungen, aber auch Befreiungen natürlich bestens ins Festivalthema «Nacht» des Lucerne Festivals, das auch als Co-Produzent aufgeführt wird. Noch nicht ganz hundertprozentig zur Geltung kam bei der Premiere die unglaublich farbige und vielschichtige Musik, die Britten auf der Höhe seiner Meisterschaft komponierte: Musik aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die ihre Modernität nie verleugnet, aber doch immer Stimmungen und Emotionen zu transportieren in der Lage ist und mit ihrer Rhetorik und der souveränen Meisterschaft im Instrumentieren stets unmittelbar überzeugend bleibt.
Die oft solistisch besetzten Linien im Orchester verlangen Wachheit und klangliche Souveränität, und das konnten an der Premiere noch längst nicht alle Musiker im Luzerner Sinfonieorchester über die Sommerferien herüberretten. Und Howard Arman war offenbar mit der Koordination zu beschäftigt, um diese musikalischen Elemente rigoroser einzufordern. Der neue Musikdirektor am Luzerner Theater verlangte und erhielt zwar dynamisch aufmerksames Begleiten und rhythmische Präzision. Klanglich aber blieb er Brittens souveräner, unglaublich farbiger und reicher Partitur doch einiges schuldig.