Oliver Schneider, DrehPunktKultur (19.09.2011)
Peter Stein inszenierte Schostakowitschs „Die Nase“ zum Saisonstart in Zürich. Ein groteskes Vergnügen und ein musikalischer Leckerbissen dank dem Dirigenten Ingo Metzmacher.
Erst ein neuer Ballettabend, dann Rossinis „La scala di seta“ disloziert in Winterthur - die Saisoneröffnung liegt in Zürich schon zwei Wochen zurück. Gleichwohl war „Die Nase“ am Samstagabend die erste wichtige Premiere in Alexander Pereiras letzter Zürcher Saison, während der er bereits an der Salzach amtet. Peter Stein hat Schostakowitschs Opernerstling „Die Nase“ inszeniert. Für seinen „Macbeth“ suchte man kürzlich in Salzburg noch verzweifelt Karten; im Parkett und in den Logen des Zürcher Opernhauses klafften nun zahlreiche Löcher. War der Termin unglücklich gewählt, weil das Lucerne Festival nochmals um Besucher buhlte und auch im regiemässig offeneren Theater Basel einer neuer „Wozzeck“ Premiere hatte?
Ingo Metzmacher deckt ohne Schonung die harten und schnell aufeinanderfolgenden musikalischen Gegensätze auf in den sechzehn, auf drei Akte verteilten, kurzen Szenen, in denen der 22-jährige Komponist bereits alles, was seinen Stil in späteren Werken charakterisiert, aufblitzen ließ. Anklänge an Werke russischer oder westlicher Komponistenvorgänger, orthodoxe Kirchenmusik und Filmmusik, von allem ein bisschen ist persiflierend in „Die Nase“ eingeflossen, in Metzmachers Dirigat klar herausgearbeitet und vom Orchester glänzend wiedergegeben.
Die Handlung beruht auf Nikolaj Gogols gleichnamiger Erzählung – und weiteren Texten von ihm. Während der Barbier Iwan Jakowlewitsch eines Morgens im frischen Brot eine Nase findet, wacht der von ihm am Vortrag rasierte Kollegienassessor Kowaljow ohne Nase auf. Sie hat sich selbstständig gemacht, und die Suche gestaltet sich schwierig. Als sie, in menschlicher Statur, mit der Postkutsche abreisen will, gelingt es der mit Häme gezeichneten Polizei und den Mitreisenden, sie zu überwältigen. Nun muss sie nur noch zurück ins Gesicht von Kowaljow, was über weitere Umwege gelingt.
Peter Stein setzt auch dieses Werk wie erwartet und richtigerweise librettogetreu um, erlaubt sich nur in den orchestralen Zwischenspielen Ergänzungen, welche die nicht ganz konzise Handlung verflüssigen. Gekonnt führt Stein Statisterie, den gut einstudierten Chor und einen Bewegungschor, und er überlässt auch im Spiel der Protagonisten nichts dem Zufall.
Von den über sechzig Akteuren kann aber nur Kowaljow Profil entwickeln, indem er die Welt durch den Verlust der Nase aus einem neuen Blickwinkel kennenlernt. Der Kollegienassessor ist mit dem jungen estnischen Bariton Lauri Vasar sängerisch und darstellerisch fabelhaft besetzt. Die übrigen Personen greifen nur episodenhaft ins Geschehen ein, wobei ein Grossteil der Sänger und sonstigen Akteure in mehrere Rollen schlüpft. Aus ihnen ragen Leonid Bomstein als Nase und Alexej Sulimov als Wachtmeister heraus, die sich beide mühelos in ihren unbequem hoch liegenden Tenorpartien zurechtfinden. Valeriy Murga überzeugt als etwas tollpatschiger Barbier, der wegen der gefundenen Nase in einen unglücklichen Verdacht kommt und von seiner Frau fortgejagt wird.
Ferdinand Wögerbauer hat für das surreale Geschehen die passende Bühne mit comicartigen Bildern gebaut, die zeithistorisch in der Neuen Sachlichkeit verortet sind. In filmischen Wechseln wird vor schiefen Häusersilhouetten auf offener Bühne oder in klaustrophobisch engen Räumen gespielt, in die der Zuschauer wie durch Fenster hineinblickt. Die Kostüme von Anna Maria Heinrich verweisen auf die Entstehungszeit des Werks und Gogols Erzählung.